4.5.18

Drew Sarich in Tanz der Vampire, Ronacher

Sei bereit, Sternkind

Drew Sarich hat diese Woche im Wiener Ronacher wieder die Rolle des Graf von Krolock übernommen und schließt somit den Kreis, den er im letzten Jahr begonnen hat. Um einen Großteil der Tanz der Vampire-Fans zumindest ansatzweise zufriedenzustellen, haben die Vereinigten Bühnen Wien für die Jubiläumsfassung drei der gefragtesten Grafendarsteller engagiert, die nun seit der Premiere im September 2017 abwechselnd die begehrte Rolle gespielt haben: Drew Sarich: September - Oktober, Mark Seibert: Oktober - Dezember, Thomas Borchert: Jänner - Februar, Mark Seibert: Februar - Mai und Drew Sarich: Mai - Juni.
Prägnant ins neue Jahr 2018 gestartet ist Thomas Borchert, der einen beeindruckenden, äußerst respekteinflößenden Krolock mit vielen verschiedenen Nuancen, die über die Jahre hinweg zu seinem Markenzeichen geworden sind, gespielt hat, gefolgt von Mark Seibert, dessen (in Hinsicht auf Mark Seiberts Zeit in dieser Rolle) relativ junger Graf in seinem Schauspiel stark kontrolliert war, der aber stimmlich bei jeder Vorstellung einen sehr tiefgehenden, wenn nicht sogar erschütternden Blick hinter die Maske des Schlossherren gewährt hat. 
Wer sich jetzt nach diesen beiden Performances, die beide grundverschieden, aber doch meist unprätentiös waren (verglichen mit Drew Sarichs Spiel zumindest), eine Zeit mit schauspielerischen sowie gesanglichen Überraschungen, und somit Szenen, in denen die Stimmung von Vorstellung zu Vorstellung völlig anders sein kann, wünscht, der ist jetzt im Ronacher genau richtig. Wer sich nach unaufgeregtem Schau- sowie Stimmenspiel und einer "gewöhnlichen" Tanz der Vampire-Vorstellung sehnt, der sollte entweder zuhause bleiben oder nach Deutschland fahren.


Was ich Drew Sarich immer wieder gerne und mit vollster Überzeugung "ankreide", ist, dass mir sein Graf von Krolock zu verspielt ist. Mir sind prinzipiell Grafen lieber, die unnahbar sind und mir im weitesten Sinne Furcht einflößen, und Drew Sarich ist im Moment weder das Eine, noch tut er das Andere. Wie er selbst sagt, besteht sein Krolock aus einem Teil Panther, einem Teil Adler und einem Teil Elvis (und er selbst entscheidet, wann welcher Teil in ihm zum Vorschein kommt) und dies ist womöglich ohnehin die beste Beschreibung seiner Performance.
Drew Sarichs Graf ist ein Showman, ein Unterhalter, der sowohl mit seinen Opfern, mit seinen Untertanen, vorrangig aber auch mit seinem Publikum spielt. Während die meisten Darsteller den Durchbruch der vierten Wand nur vornehmen, wenn er schon dezidiert im Skript vorgegeben ist (z.B. bei Euch Sterblichen von Morgen prophezeie ich heut und hier), spricht Drew Sarich in vielen Szenen mit seinem Schauspiel öfter direkt das Publikum als das Ensemble auf der Bühne an. Neuerdings taucht er bei Tanzsaal in seiner Kanzel gerne mit völlig auf das Publikum ausgerichteter Körpersprache auf – seine von ihm angesprochenen Untertanen scheinen ihn trotz seiner mitreißenden Rede in diesem Fall nur mäßig zu interessieren. Auch beim Gebet hält er sich nicht am Dach des Wirtshauses versteckt, sondern ist dort während einem Gutteil des Liedes (schon lange bevor sein Gesangspart beginnt) dabei zu beobachten, wie er seinen faszinierten und gleichzeitig fast arroganten Blick über die Bühne bis ins Publikum schweifen lässt – frei nach dem Motto: überseht mich bloß nicht!
Wie könnte man das? Ein Krolock, der sich sowohl gesanglich, als auch schauspielerisch an keine Regeln hält, sticht ohnehin aus Tanz der Vampire heraus.

Während viele Grafen-Darsteller gerne über Monate, wenn nicht Jahre hinweg eine bestimmte Art der Interpretation dieser Rolle entwickeln und festigen, und nur hin und wieder lang bearbeitete neue Nuancen einfließen lassen, ist Drew Sarich ein Entdecker und Erfinder, der eben mal alle paar Vorstellungen etwas Neues ausprobiert. Aber Ausprobieren heißt für ihn nicht, dass er einfach irgendetwas halbherzig versucht – nein, Drew Sarich setzt die meisten seiner genialen Ideen, die weiß-Gott-woher-kommen, erfolgreich um, weil er sie (nehme ich zumindest an) genau kalkuliert hat und weil er über eine hervorragende Selbsteinschätzung verfügt.
Sein intensives, unter die Haut gehendes Schauspiel ist in dieser Rolle in allen kleinen, von anderen Grafen oftmals übergangenen Momenten zu sehen, z.B. als ihm in Totale Finsternis eine sich vorsichtig der Emanzipation annähernde Sarah die Hand auf die Schulter legt, während er mit Abscheu gerade seine Finger bzw. Klauen betrachtet (durch die ihm immer wieder das Leben entgleitet), und er daraufhin zurückzuckt und sich von ihr abwendet. Kein anderer Performer, den ich in dieser Rolle gesehen habe, hat es je geschafft, mit einer Handvoll Blicke und Gesten in diesem kurzen Moment so viele Emotionen zu porträtieren; um nicht zu sagen: ganze Geschichten innerhalb von ein paar Sekunden zu erzählen.
Auch die Tatsache, dass Drew Sarich risikofreudig ist und Lieder, in denen es gar nicht vorgesehen ist, mit seinen spitzen Zähnen im Mund singt (wie z.B. Totale Finsternis), tragen zu seiner außergewöhnlich starken Vampir-Personifizierung bei. Risikofreudig erstens, weil in dieser Szene beim Sturz die Treppe hinunter schon einmal die eigenen Zähne im Unterkiefer landen könnten und zweitens, weil man mit diesen Beißerchen erst einmal ein ganzes Lied ohne Lispeln durchsingen können muss.

Drew Sarichs Graf ist in jeder Sekunde, die er in seiner Rolle vor Publikum verbringt  – egal ob auf der Bühne oder auf dem Weg dorthin – völlig präsent. Durchgehend versteht er es sowohl stimmlich als auch schauspielerisch den Raum zu beherrschen. In Szenen, in denen man als Zuschauerin bzw. Zuschauer auf manchen Plätzen an einigen Abenden aufgrund der Aussteuerung Probleme hat, die Darsteller zu verstehen (im Ronacher genauso wie im Theater des Westens), singt Drew Sarich mit einer Präzision und solch durchdringender, klarer Stimme, dass man ihn selbst bei geringer Lautstärke noch in der hintersten Reihe wahrnimmt und versteht.
Seine Bühnenpräsenz ist bis zu einem gewissen Grad wie die Interpretation von dutzenden anderen Darstellern in erster Linie ehrfurchtgebietend, aber gleichzeitig merkt man seinem Grafen auf einen Blick die Verschlagenheit und das Schelmische an, was (wieder laut eigener Aussage) einfach eine Reaktion auf die vergangenen Jahrtausende ist, in denen Krolock gegen seinen Willen alle Zeit der Welt hatte, die Menschen und all ihre Fehler zu studieren.
Diese Eigenschaften machen Drew Sarichs Krolock sehr bewegungsfreudig und oftmals (wie gesagt) sogar verspielt – am deutlichsten ist dies spürbar in jenen Szenen, die bereits vorgeschriebene komische Momente enthalten (wie z.B. Vor dem Schloss und Tanzsaal), aber auch bei Szenen, in denen kaum ein anderer Krolock-Darsteller je versucht zu glänzen, wie z.B. beim Finale wo er mit einer triumphierenden Grimasse mit ausgefahrenen Fangzähnen unter seinen Vampiren auftaucht und mit ihnen lässig in die Welt hinausmarschiert. Nach der eher zurückhaltenden Performance von Mark Seibert die letzten Monate wird man von Drew Sarichs Gestik bei Vor dem Schloss möglicherweise fast erschlagen, gewöhnt sich aber recht schnell daran, wenn man bedenkt, dass man die verschiedenen Gesten, die Mark Seibert am besten beherrscht – und an die er sich deshalb hält – an den eigenen Fingern abzählen kann.


Wer auch immer die Idee dazu hatte, Drew Sarich freie Hand bei der stimmlichen Entwicklung der Grafen-Rolle zu lassen bzw. wer auch immer ihn dazu animiert hat, hat einen Glücksgriff gemacht. Seine stimmliche Interpretation ist wahrlich nichts für die Ohren der Fans, die eine gewisse Notenabfolge gewohnt sind und die für eine hohe Krolock-Gesangsstimme nichts übrig haben. Drew Sarich hat mit seiner Tenorstimme vielen Sequenzen in Tanz der Vampire eine völlig neue Klangfarbe verpasst und die Stimme des Vampirs – ergo: des Monsters – aus den Tiefen des Horrorgenres an die klare, frische Luft und an das helle Licht gebracht.
Folgende Parts fallen mir jetzt auf Anhieb ein, die von ihm höher gesungen werden (entweder eine Terz oder gleich eine Oktave):
und hungrig nach GlückGott ist tot
Sei bereit Sternkind und auf dem Ball morgen NachtTotale Finsternis
und bei zum Bleiben verdammt in Tanzsaal begibt er sich überhaupt in jene ungreifbare Sphäre, die mich jedes Mal an seine übermenschliche Gethsemane-Leistung in Jesus Christ Superstar erinnert.

Obwohl es eine offizielle Aufnahme von Totale Finsternis mit Drew Sarich und Diana Schnierer gibt (Die drei Grafen, HitSquad 2018), tut ihm diese eher Unrecht, da er auf dieser Aufnahme "ganz normal" klingt und seine stimmlichen Möglichkeiten nicht ausloten durfte. Drew Sarich hat die Grafen-Rolle stimmlich zu etwas ganz Eigenem gemacht, das nur ihm selbst gehört, und wenn man ihm jetzt auf einmal sagt, er soll den Graf nach den vorgegebenen Noten singen, dann ist es nicht mehr seine Interpretation. Das wahre stimmliche Meisterwerk dieses Krolocks ist derzeit also nur live zu bewundern.
Und obwohl er sich all diese prägnanten Freiheiten in einem so außergewöhnlichen Ausmaß – wie es noch nie jemand zuvor oder seither gewagt hat – nimmt, so hat er doch nie den Respekt vor der Musik verloren und würdigt die Originalversionen der Lieder auf seine persönliche, grandiose Art und Weise. Drew Sarich gibt mir oft das Gefühl, viele Teile von Tanz der Vampire (mit dem ich aufgewachsen bin und das ich seit knapp 15 Jahren auswendig nachsingen kann) Vorstellung für Vorstellung neu zu entdecken.
Manchmal frage ich mich, warum sonst noch niemand eine ähnlich verwegene stimmliche Neuinterpretation der Grafenrolle gewagt hat bzw. wagt. Natürlich sprechen solche Neuerungen nicht jedermann an, aber die Zeit geht nun einmal vorwärts und nicht zurück, und wir sollten alle versuchen dem Neuen offen gegenüberzustehen und ihm zumindest eine Chance zu geben.

Notiz am Rande: die Unstillbare Gier ist meiner Meinung nach nicht bei jeder Vorstellung Drew Sarichs Meisterstück in Tanz der Vampire, was sie ja für gewöhnlich für den Durchschnitts-Fan zu sein hat. Bei Drew Sarich ist allerdings schon das Gesamtpaket so beeindruckend, dass die Gier für mich nur ab und zu die zusätzliche Kraft hat, alles andere zu überragen. Das ist hier aber auch nicht immer notwendig, da eine Gier, die auch bei einer Drew Sarich-Krolock-Performance noch als außergewöhnlich gilt, eindeutig den Ausdruck "emotionaler Overkill" rechtfertigt.


Dies hier ist nur ein kurzer Ausflug zu einem kleinen Teil von einigen von Drew Sarichs dutzenden, feinen Krolock-Nuancierungen. Man könnte über jeden Abend, den dieser zum Vampir-Darsteller geborene Sänger so unüblich macht, einen Aufsatz schreiben. Der Versuch, einen Bericht über Drew Sarichs Leistung in diesem Stück abzugeben, ist wie ein Tropfen im Ozean – was aber ist ein Ozean anderes als eine Vielzahl von Tropfen?
Wer am eigenen Leib erfahren möchte, wie es sich anfühlt von der Stimme und dem Schauspiel eines Musicaldarstellers Abend für Abend bis in die hintersten grauen Zellen auf die intensivste Art und Weise stimuliert zu werden, der sollte ihn sich unbedingt noch live im Ronacher in Tanz der Vampire anschauen und anhören - nur noch bis 27.06.2018!


Drew Sarich-Zitate aus dem Tanz der Vampire Programmheft 2017 und der ORF-Dokumentation Liebe auf den ersten Biss 2017