12.6.24

Richard III – MusikTheater an der Wien, 8.6.2024

Derzeit läuft in der Kammeroper (MusikTheater an der Wien) Richard III, ein Musiktheaterprojekt, das die Titelfigur von Shakespeares gleichnamigem Drama mit Schauspiel, Gesang und Tanz aus verschiedenen, teils neuen Blickwinkeln beleuchtet. In diesem Stück wird Richard von einem Schauspieler, einem Sänger und einem Tänzer verkörpert, entweder in gemeinsamen Szenen, in denen sie unterschiedliche Facetten Richards darstellen, oder gelegentlich einzeln, um eine bestimmte Seite der Figur ins Rampenlicht zu rücken. Begleitet werden sie dabei von vier Schauspieler:innen/Sänger:innen, die die Darstellung von weiteren Figuren aus Shakespeares Drama übernehmen, und vom Barock-Ensemble Bach Consort Wien, das Musik von Henry Purcell beisteuert. Gemeinsam ergibt sich so ein innovatives Konzept, das faszinierende neue Einblicke in die Titelfigur von Shakespeares wohl berühmtestem Historiendrama gewährt. 

Thus play I in one person many people

Richard III beginnt in der Kammeroper mit der Geburt Richards bei der Christoph Filler (Sänger), Sören Kneidl (Schauspieler) und Fabian Tobias Huster (Tänzer) mit verworrenen Gliedern auf die Bühne ausgespuckt werden. In dieser ersten Szene so wie in einigen folgenden teilen sich die drei Darsteller den Text von Shakespeare, in dem Richard immer wieder seine Deformität beschreibt, in welcher er seine schwarze Seele gespiegelt sieht. Danach trennen sie sich für einige Zeit, um unterschiedliche Facetten von Richard darzustellen, finden im Lauf des Stücks aber immer von neuem zueinander. Von den Szenen, in denen sie gemeinsam eine Person spielen, ist besonders die Krönungsszene visuell eindrucksvoll, in der sie sich gegenseitig das Blut, das aus ihrer Krone tropft, ins Gesicht schmieren, um somit alle Aspekte von Richards Person für einen Moment zu vereinen. 

Weiters beeindruckend ist vor allem eine Szene im zweiten Teil des Stücks, in dem Richards Mutter ihren Sohn in musikalischer Form zurecht wegen seiner Untaten, aber, sehr grausam, auch aufgrund seiner bloßen Existenz anklagt. Der Tänzer (= die Emotion Richards in dieser Szene) hängt bei diesem Lied an seiner Mutter und versucht, ihre Gunst wiederzuerlangen. Der Schauspieler (= der Verstand Richards in dieser Szene) hingegen wandert im hinteren Teil der Bühne ruhelos in Krone und Krönungsmantel umher und sorgt sich um seine Machtposition. Der Sänger ist währenddessen derjenige, der versucht, zwischen dem Tänzer und dem Schauspieler eine Brücke zu schlagen, und begleitet die Mutter mit seiner Stimme selbstironisch bei ihrem Lied. Somit porträtiert er gekonnt die schier endlose Selbstinszenierung Richards, die diese Shakespeare-Figur so unverwechselbar macht. 

Am Ende dieser Produktion sterben die drei Darsteller wieder vereint, nachdem Richard von Richmond sehr theatralisch und auf metaphorische Art und Weise besiegt wird. Richmond, der zukünftige Henry Tudor, tritt hier buchstäblich im weißen Engelskostüm auf und strahlt so starke Rechtschaffenheit aus, dass Richard seinen Anblick nicht erträgt und sich von ihm abwenden muss. Diese Darstellung fängt brilliant ein, was für ein Deus ex machina diese Figur bei Shakespeare im letzten Akt von Richard III ist. Richmonds Schwert kommt nicht zum Einsatz, sondern eine einzelne herabfallende Feder aus seinen Flügeln genügt, um den Tänzer (= den Körper Richards in dieser Szene) schwer zu verwunden. Richard weigert sich zunächst noch die Folgen dieser Wunde zu akzeptieren, nach und nach holt der Tod aber alle seine Facetten ein, die schließlich so ineinander verworren sterben, wie sie in der Kammeroper auf die Welt gekommen sind. 

If music be the food of love, play on

Fast jede Szene von Richard III wird als Kombination aus Shakespeare-Texten (nach der Übersetzung von Schlegel) und Barock-Musik mit den englischen Originaltexten dargeboten. Diese Mischung bietet einen befreienden Blick auf Richard III, weil sie es ermöglicht, Dinge auszudrücken, die nicht explizit in Shakespeares Texten vorkommen. Es handelt sich bei den ausgewählten Musikstücken großteils um Werke, die Purcell und seine Zeitgenossen (u.a. Matthew Locke) dezidiert über Shakespeares Dramen geschrieben haben. Aber auch die übrigen Stücke sind mit Bedacht ausgewählt und unterstreichen gezielt die jeweiligen Handlungsfäden von Richard III.   

Dass die Kombination aus barocken Liedtexten und Shakespeare-Handlung in der Kammeroper sehr präzise konzipiert ist, zeigt sich bereits früh in diesem Musiktheaterstück. Etwa in Shakespeares erster Szene, in der Richard so tut, als wüsste er nicht, warum sein Bruder George unter Bewachung zum Tower geführt wird, obwohl dessen Verhaftung natürlich auf einen Plan Richards zurückzuführen ist. Bereits hier kann in der Kammeroper anhand des die Szene begleitenden Liedtextes einerseits Georges prophetischer Alptraum, den er später im Tower hat, und in weiterer Folge sogar seine grausame Ermordung erahnt werden: Mit dem gewählten Auszug aus Blow, Boreas, Blow (Purcell) in dem es darum geht, auf hoher See nicht zu ertrinken, wird Georges nasses Ende (bei dem er bei Shakespeare grausam in einem Fass Wein ertränkt wird) auf einer weiteren, zusätzlich zu der von Shakespeare vorgegebenen Ebene angedeutet. 

Aber nicht nur die Musikstücke erweitern den Blickwinkel auf Richard III, sondern auch ein paar Texte aus anderen Shakespeare-Stücken: Zu Beginn des zweiten Teils dieser Produktion fragt Richard III mit den Worten von Richard II, wie er uns jemals erklären kann, was es bedeutet, König zu sein. Die Auszüge aus diesem introspektiven Monolog seines Vorfahren erklären hier zum Teil, warum Richard III auch nach der Machtübernahme so sehr um seine Position fürchtet und nicht zur Ruhe kommen kann. Kurz vor seinem Ende greift Richard in dieser Produktion dann auch noch auf Hamlet zurück und beschwert sich bei einem Durchbruch der vierten Wand darüber, dass wir (das Publikum) ihn nur benutzen möchten, so wie Hamlet es bei Rosencrantz und Guildenstern vermutet. Diese perfide und gerade deshalb gut zu Richard III passende Anklage des Publikums schafft es zwar nicht, das Schweigen der Zuseher:innen, die stets in Richards Untaten eingeweiht sind, auf die Probe zu stellen (denn zu diesem Zeitpunkt sind wir in der Kammeroper bereits an einem Punkt im Stück angelangt, an dem es für alle Beteiligten längst zu spät ist). Nichtsdestotrotz hat dieser Moment einen faszinierenden und gleichzeitig herben Beigeschmack, der den gesamten Theaterabend widerspiegelt. 

Schlussapplaus, Kammeroper, 8.6.24

Was ever woman in this humour won? (Seriously.)

Den Frauenrollen kann ich auch in dieser Produktion von Richard III nicht viel abgewinnen, auch wenn die beiden Sänger:innen in der Kammeroper fantastisch sind. In dieser Produktion des MusikTheaters an der Wien war es etwas verwirrend, dass die vier wichtigen Frauenfiguren in Shakespeares Stück textlich etwas ineinander übergeflossen sind (vor allem im 2. Akt) und dass es dadurch einige musikalische Momente mit Nicht-Shakespeare-Texten gab, in denen ich mir nicht sicher war, ob nun (z. B.) Anne oder Elizabeth gerade singt. Dadurch sind einige weibliche Shakespeare-Figuren bei dieser Produktion fast noch mehr an den Rand gedrängt als im originalen Drama. 

Erhellend in Bezug auf die Frauenrollen war in dieser Produktion aber die erste Hälfte der Szene in der Richard um Anne, deren Mann und Schwiegervater er ermordet hat, wirbt. Dies ist eine der Szenen in Richard III, in denen Frauen Richard viel zu schnell nachgeben, und Shakespeare hat sich nicht bemüht, diese Willenlosigkeit zumindest im Nachgang in einem Monolog (o. Ä.) der jeweiligen Figur zu erklären. Eine Lücke, die das MusikTheater an der Wien als Chance genutzt hat: In der Szene mit Anne wurde nur durch Musik und Tanz für mich klargemacht, dass Anne Richard aufgrund der Position, in der sie sich gerade befindet, einfach nicht entkommen kann. Mit dieser Erklärung der Nachgiebigkeit Annes hat das MusikTheater an der Wien zumindest auch noch einen kleinen Beitrag für diejenigen geschafft, die sich für die Darstellung der Frauen in Richard III interessieren.