24.3.18

Jesus Christ Superstar, Ronacher

To conquer death, you only have to die

Passenderweise hat Andrew Lloyd Webber genau am Tag der Generalprobe (22.3.2018) der diesjährigen Produktion von Jesus Christ Superstar im Wiener Ronacher seinen 70. Geburtstag gefeiert – passend in erster Linie deshalb, weil heuer erstmals die große symphonische Fassung der ursprünglichen Orchestrierung mit 43 Musikerinnen und Musikern von Webbers Frühwerk im Ronacher zu hören ist.


Die Wiener Fassung der Rock-Oper ist wie immer halb-konzertant: Die Darstellerinnen und Darsteller agieren gemeinsam mit dem Orchester auf der Bühne. Kulissen wurden durch Projektionen ersetzt und von den Requisiten wird nur das Mindeste verwendet – wobei dieses Jahr deutlich mehr in Szene gesetzt wird, als bei den vergangenen Produktionen.
Unter der Regie von Alex Balga wurde heuer eine neue Produktion auf die Bühne gebracht, die endlich diejenige von Werner Sobotka aus dem Jahr 2015 abgelöst hat. Nicht, dass Werner Sobotka's Version nicht gut war – im Gegenteil! – aber der Versuch eine zwei Jahre alte Produktion, die nur eine Woche pro Jahr gespielt wird, Leben einzuhauchen, ist den VBW im letzten Jahr meiner Meinung nach nur bedingt gelungen. Alex Balga hat es nun endlich geschafft dem obligatorischen Jesus Drew Sarich wieder einmal ein Hemd und eine besser sitzende Hose anzuziehen, die Auftritte der Pharisäer ehrfurchtgebietend und respekteinflößend zu inszenieren, und King Herod's Song so auf die Bühne zu bringen, dass die Atmosphäre dieser Szene direkt dem prägnanten Jesus Christ Superstar-Film aus den 70ern zu entstammen scheint.

Was bei der heutigen Vorstellung (24.3.2018) weder Alex Balga, noch das Orchester, und nur hin und wieder die Darstellerinnen und Darsteller im Griff hatten (z.B. Drew Sarich in Gethsemane), das waren die Szenenübergänge. Nur eine Handvoll dieser Übergänge hat gut funktioniert; während der Großteil davon recht unbeholfen wirkte und das Publikum oft mit der Entscheidung völlig allein gelassen wurde, ob es beim Abgang der Cast nun applaudieren soll oder nicht.
Eine gute Jesus Christ Superstar-Inszenierung sollte das Publikum hier meiner Meinung nach auf keinen Fall hängen lassen, weil ansonsten ,die Gefahr‘ besteht, dass vor Ende der Lieder geklatscht wird (obligatorisches Beispiel: Gethsemane) bzw. dass gar nicht geklatscht wird und der Darsteller/die Darstellerin bei Totenstille die Bühne verlässt (heute Abend zum Beispiel: Filippo Strocchi nach Pilate's Dream). Vielleicht lag es an der Regie, vielleicht an der musikalischen Inszenierung, vielleicht auch am Publikum des heutigen Abends: die Szenen sind leider nicht ineinandergeflossen.

Auch bei dieser neuen Produktion spielt wieder das Medium Film eine große Rolle: Jesus Triumphzug, Verhaftung und Prozess werden live von einem ,Kamerateam‘ auf der Bühne mitgefilmt und auf die Leinwand hinter dem Orchester projiziert. Hier hat der Hammer meiner Meinung nach den sprichwörtlichen Kopf des Nagels verfehlt: Einerseits muss unserer sensationslüsternen Gesellschaft wohl immer wieder der Spiegel vorgehalten werden, andererseits frage ich mich, ob diese Message überhaupt noch beim Publikum ankommt, da man heutzutage ohnehin mit kaum einem Mittel unsere Smartphone-vernebelte Sicht zu durchdringen vermag.
Allerdings muss im Bezug auf das Publikum an dieser Stelle auch gesagt werden, dass ich bei Jesus Christ Superstar immer wieder die Überraschung erlebe, dass ich bis jetzt noch nie Zuschauerinnen oder Zuschauer gesehen habe, die sich offensichtlich langweilen was in erster Linie natürlich für die mitreißende Musik spricht, die für die diesjährige Produktion von Carsten Paap neu inszeniert wurde. Ich persönlich finde die neue musikalische Inszenierung nicht so faszinierend und abenteuerlich wie die in den letzten Jahren verwendete Version von Koen Schoots, aber es ist heuer definitiv eine Inszenierung, die uns zurück zu den musikalischen Wurzeln dieses Musicals führt.

Zur Besetzung: 

Sasha Di Capri darf in Heaven on their minds und im bestechend guten Damned for all time wieder einmal beweisen, wie gut er die Rolle des Judas schon im Griff hat und wie versiert er sich in diesem Tonumfang bewegen kann. Aber wie schon beim letzten Mal sieht er die Rolle als Möglichkeit zum ,Abrocken‘, womit er mir keinen Gefallen tut: Ich habe nichts dagegen, dass ein Darsteller mit einer rauchigen Rockerstimme die Rolle des Judas singt, aber das bedeutet nicht, dass er während 80% des Stücks so klingen muss, als hätte er einen Tritt in den Kehlkopf bekommen – schon gar nicht, wenn der Durchschnitt-Zuschauer/Zuschauerin auf diese Art und Weise dann nur noch mehr jedes fünfte Wort verstehen kann.
Ich möchte einmal in meinen Leben einen Judas hören, der nicht glaubt, dass er gleich mit AC/DC auf der Bühne stehen wird.

Barbara Obermeier als Maria Magdalena ist (für mich) eine fantastische Überraschung gewesen! Gekleidet in einen sehr einfaches graues Kleid setzt sie einen starken Kontrast zu den Maria Magdalenas der letzten Inszenierung, die – sehr aufgetakelt – alle ausgesehen haben, als kämen sie direkt aus dem Temple, aus dem Jesus ein paar Lieder später das frivole Volk jagt. Sie ist die erste Maria seit Caroline Vasicek, der ich es stimmlich abnehme, dass sie wirklich etwas für Jesus empfindet und die nicht einfach nur da ist, um endlich I don't know how to love him in ihren Lebenslauf aufzunehmen. Mit einer soliden gesanglichen Leistung schafft sie es sogar ohne die Emotionen zu dick aufzutragen einem der totgesungendsten Liebeslieder der Musicalwelt Leben einzuhauchen.
Eine Maria Magdalena-Darstellung, die funktioniert. Bravo!

Andreas Kammerzelt als Kaiphas ist für mich das Highlight dieser Produktion. Selbst in der letzten Reihe hat man das Gefühl seinen mächtigen Bass, der in Wellen durch das Theater rollt, zu spüren. Er ist mit Abstand der beste Kaiphas, den ich je gehört habe – sein tiefer Tonumfang verschlug mir den Atem und ließ mich bei seinen ersten Zeilen einfach nur mit offenem Mund überwältigt dasitzen (und den Geräuschen aus meinem Umfeld nach zu urteilen, war ich nicht der einzige Zuhörer, dem es so erging).
Ich hoffe, Andreas Kammerzelt noch öfter in dieser Rolle bzw. in weiteren Rollen, die seinem Stimmumfang gerecht werden, zu hören.

Charles Kreische als Annas kann sich vor allem in This Jesus must die beweisen, bei dem er total heraussticht. Auch wenn ihm die hohen Stellen dieser Rolle nicht alle liegen, so schafft er es stimmlich doch dieser Figur seinen Stempel aufzudrücken und ihr gekonnt eine dritte Dimension zu verleihen. 

Nicolas Tenerani als Herodes darf im Leopardenmantel mit Goldketten um den Hals und pinkem Haarschopf auf dem Kopf als Einziger so richtig Spaß in seiner Rolle haben – und das funktioniert bestens: An einem Klavier sitzend und mit einer gewitzten schauspielerischen Einleitung könnte man meinen, dass dieser Herod direkt dem 70er-Jesus Christ Superstar-Film entsprungen ist, obwohl er ganz anders aussieht. Nicolas Tenerani hat hier erfolgreich das Ambiente dieses alten Musicalfilms übernommen und in unsere Zeit versetzt. 

Filippo Strocchi als Pontius Pilatus hat entweder sehr lange an der Darstellung dieser Rolle gefeilt oder ein Talent für klare Aussprache: Jedes noch so schnell auf das nächste folgende Wort in Trial before Pilate war aus seinem Mund mit Leichtigkeit zu verstehen. Neben Mark Clear, der Herod im Ronacher in den letzten Jahren gespielt hat, ist Filippo Strocchi mit Abstand der beeindruckendste Pilate, den ich je gehört habe.

Über Drew Sarich als Jesus werde ich hier als voreingenommener Fan, der Jesus als Parade-Rolle dieses Künstlers sieht, nicht allzu viele Worte verlieren. Die Standing Ovations nach Gethsemane sind auch dieses Jahr nicht ausgeblieben.
Wer Drew Sarich in dieser Rolle nicht kennt, sollte sich die Jesus Christ Superstar-CDs aus den Jahren 2005 und/oder 2011 und ein Ticket für Jesus Christ Superstar im Ronacher besorgen.
Eine Warnung für Zartbesaitete: während in der aktuellen Produktion Judas in Judas' Death nur in einem Loch im Boden verschwindet, wird Jesus wieder einmal ,wirklich gekreuzigt‘ – zwar nicht mit einem Holzkreuz und Nägeln, aber doch mit einer Konstruktion, die ihn in Kruzifix-Manier dem ihn verlachenden Volk (in wahrsten und übertragenen Sinne des Wortes) enthebt.


Ich habe nichts dagegen, wenn die Vereinigten Bühnen Wien ihre Oster-Tradition im nächsten Jahr fortsetzen – mit alten und neuen interessanten Stimmen!