Sasha Regan's All-Male Hit
Die komische Oper The Pirates of Penzance wurde Ende des 19. Jahrhunderts von dem englischen Duo W.S.Gilbert (Text/Buch) und Arthur Sullivan (Musik) geschrieben, die sich am besten als englische Sondheims ihrer Zeit bezeichnen lassen. Gilbert und Sullivan haben eine ganze Reihe von Opern geschrieben, von denen jede einzelne die Obsession der Briten mit ihrem sozialen Status, sowie, im Fall von Pirates of Penzance und H.M.S. Pinafore, die Royal Navy parodiert. Ihre Opern sind allesamt göttliche Komödien, deren schlaue, feinsinnige Texte aber niemals jemanden in den Schmutz gezogen, sondern nur auf den Arm genommen haben.
Texte zum Tränen-Lachen – wie Sondheim eben. Der einzige Künstler dieses Formats neben Gilbert und Sullivan, der es immer wieder schafft, dass ich bei seinen Komödien zwei Stunden lang durchlache, ohne nachher das Gefühl zu haben, jemanden ausgelacht zu haben.
Textauszug:
Mabel: Oh Frederic, can you not in your calm, excellent wisdom reconcile it with your conscience to say something that will ease my father's sorrow?
Frederic: What?
Mabel: Can't you cheer him up?
Aber Pirates of Penzance macht sich nicht nur über englische Statusvorstellungen und antiliberale Erziehungsmethoden, sondern auch über romantische Melodramen lustig, in denen die kreischenden Dämchen vor den Piraten flüchten und deren Charme schlussendlich doch verfallen. Ich will hiermit nicht sagen, dass Gilbert und Sullivan ihrer Zeit weit voraus waren, nein, auch ihre Frauencharaktere sind eher Mittel zum Zweck, aber sie sind alle sehr willensstark und ihre Entscheidungen sind weitaus weniger absurd als die der männlichen Figuren.
Klarerweise muss aber in Stücken, in denen es um den Clash zweier Geschlechter geht, zumindest eine Handvoll Klischees bedient werden. Aber um auch das Klischee, das besagt, das solche sozialen Klischees existieren müssen, zu untergraben, hat sich Sasha Regan 2009 etwas ganz Besonderes ausgedacht: Sie hat die erste nur mit Männern besetzte Pirates of Penzance Produktion auf die Bühne gebracht.
Klarerweise muss aber in Stücken, in denen es um den Clash zweier Geschlechter geht, zumindest eine Handvoll Klischees bedient werden. Aber um auch das Klischee, das besagt, das solche sozialen Klischees existieren müssen, zu untergraben, hat sich Sasha Regan 2009 etwas ganz Besonderes ausgedacht: Sie hat die erste nur mit Männern besetzte Pirates of Penzance Produktion auf die Bühne gebracht.
Vorab: An der Musik ist nichts verändert worden, es wird alles in der Originaltonlage gesungen.
Wie großartig das klingt, empfehle ich, hier anzuhören:
Wie großartig das klingt, empfehle ich, hier anzuhören:
(c) Sasha Regan
Bis auf drei Besetzungsmitglieder, die die männlichen Hauptrollen und zwei, die die weiblichen Hauptrollen spielen, wechselt die gesamte restliche Besetzung dieser Produktion (ca. 15 Mann) beständig zwischen Frauen- und Männerrollen.
Sprich: alle Bässe müssen mindestens die Alt-Stimme singen können und alle Tenöre müssen die Sopran-Stimme beherrschen. Und das schaffen sie stimmlich alle hinreißend perfekt und bis zur letzten Silbe verständlich.
Am unterhaltsamsten von Sasha Regans diesjähriger Besetzung sind Alan Richardson als Ruth (zu sehen und zu hören im Video oben) bei dem man den ganzen Abend nicht sagen kann, wo seine Rolle anfängt und wo er aufhört, James Thackeray als sehr schwungvoller und sympathischer Pirate King und David McKechnie als brillantes model-of-a-modern-Major-General.
Am weiblichen Schauspiel aller Darsteller, das zwischen natürlich feminin und dezent maskulin rangiert, merkt man, dass hier Frauen am Steuer stehen: Sowohl die Produzentin/Regisseurin, Sasha Regan, als auch die Choreographin, Lizzi Gee, haben es genau im Gefühl, wie weit sie die Parodie einer vielerorts vergangenen Zeit, die gleichzeitig eine Hommage an die Genialität eines Kunstprodukts dieser Zeit ist, treiben durften, ohne dass Pirates of Penzance ins Lächerliche abrutscht.
Jeder weiblichen Figur auf der Bühne ist ein bestimmter Charakter zugewiesen und alle Darsteller gehen völlig in diesem Charakter auf: Dort drüben ist die Älteste, die aufpasst, dass ihre Geschwister zusammenbleiben. Hinter ihr stapft mürrisch die Schwester, die keine Lust auf den Ausflug an den Strand hat. Ganz am Ende folgt der junge Wirbelwind, der ständig auf der Suche nach Abenteuern davonläuft – in keiner Sekunde wird an der Maskulinität der Darsteller geschraubt, sondern es wird einfach geschauspielert was das Zeug hält!
Weibliche Schminke gibt es nicht, genauso wenig wie Perücken oder eine vor dem Auftritt vorgenommene Achsel- oder Brustrasur. Ob Pirat, junge Frau oder Polizist, die gesamte Besetzung meistert alle Rollen nicht nur mit Bravour, sondern hat auch noch sichtlich Spaß dabei.
Wer sich ein Bild von der passend hellen und freundlichen Kostümierung machen will, der findet Fotos auf der offiziellen Website von Pirates.
Derzeit wird Pirates of Penzance in der herrlich intimen Sphäre der Wilton's Music Hall in London gespielt. Mit ein wenig Segeltuch, einer Leiter, einem Besen und sehr viel Animation aller Beteiligten verwandelt sich die Bühne in ein Piratenschiff, von dem einige Teile in der nächsten Szene zum Pferd umfunktioniert werden, dass dann sogar mit einer Karotte gefüttert wird.
Mit einer äußerst stimmungsvollen Beleuchtung wird nicht nur die Location im Stück gewechselt, sondern auch jedes zur Seite sprechen (Momente, in denen eine Figur auf der Bühne zum Publikum spricht und so tut, als würden sie die anderen Figuren nicht hören) passend hervorgehoben, das neben der fortwährenden Bewegung auf der Bühne ansonsten sicherlich untergehen würde.
Begleitet werden die Pirates bei dieser Produktion nur von einem Pianisten (rechts neben der Bühne), was für diese Location völlig ausreichend ist. Ein Orchester würde die Wilton's Music Hall nicht nur akustisch sprengen.
Ein Tipp: Von den in der Galerie der Wilton's Music Hall befindlichen Sitzen mit Sichteinschränkung rate ich ab, da es bei diesem Stück einfach zu schade ist, auch nur einen Zipfel der Bühne nicht sehen können – einige non-verbale Komikelemente entgehen der Zuschauerin und dem Zuschauer dort.
Außergewöhnliche, herrliche Unterhaltung mit Seltenheitswert.
Wer die Chance hat: Unbedingt hingehen und mitsegeln!