„Seid ihr......bereit?“
War die Vorstellung von Tanz der Vampire am 15.02.2018 im Wiener Ronacher nun wirklich die letzte mit Thomas Borchert in der Rolle des Graf von Krolock?
Ganz genau kann das außer Thomas Borchert wohl niemand sagen, auch wenn auf seiner Homepage im letzten Jahr die offizielle Meldung erschien, dass er diese Rolle "in Wien das letzte Mal und danach nie wieder" spielen würde. Aber vielleicht will es auch einfach der begeisterte Grafen-Fan noch nicht wahrhaben, dass dies das Ende einer Ära ist.
Ganz genau kann das außer Thomas Borchert wohl niemand sagen, auch wenn auf seiner Homepage im letzten Jahr die offizielle Meldung erschien, dass er diese Rolle "in Wien das letzte Mal und danach nie wieder" spielen würde. Aber vielleicht will es auch einfach der begeisterte Grafen-Fan noch nicht wahrhaben, dass dies das Ende einer Ära ist.
Eine Ära, die 2003 begonnen hat: in dem Jahr, in dem Thomas Borchert erstmals die besagte Rolle übernahm – und im Lauf des letzten Jahrzehnts hat er sie unbestreitbar maßgeblich geprägt.
Kleines Beispiel: Wo wären wir heute ohne die Idee, dass wir die "KETTEN" die wir in der Unstillbaren Gier nicht mehr loswerden, frei variieren können? Ich weiß nicht, ob der ursprüngliche Einfall, diesen kurzen Part so pointiert anders als er geschrieben wurde zu singen, von Thomas Borchert kam, aber auf alle Fälle hatte die neue Gesamtaufnahme von Tanz der Vampire (Ronacher 2009), bei der er diese freie Variation voll und ganz ausgenutzt hat, einen fundamentalen Einfluss auf alle deutschsprachigen Produktionen, die ich seither gesehen habe.
Thomas Borcherts Variier-Freudigkeit bekommt man in jeder Minute, die er auf der Bühne steht, zu hören und zu sehen. Für die letzten Produktionen von Tanz der Vampire, bei denen er die Grafenrolle übernommen hatte, hat er sich zusätzlich zu seinen schon länger bestehenden Ideen für die musikalische Interpretation noch ein paar kleine Extras überlegt, wie z.B.:
Kleines Beispiel: Wo wären wir heute ohne die Idee, dass wir die "KETTEN" die wir in der Unstillbaren Gier nicht mehr loswerden, frei variieren können? Ich weiß nicht, ob der ursprüngliche Einfall, diesen kurzen Part so pointiert anders als er geschrieben wurde zu singen, von Thomas Borchert kam, aber auf alle Fälle hatte die neue Gesamtaufnahme von Tanz der Vampire (Ronacher 2009), bei der er diese freie Variation voll und ganz ausgenutzt hat, einen fundamentalen Einfluss auf alle deutschsprachigen Produktionen, die ich seither gesehen habe.
Thomas Borcherts Variier-Freudigkeit bekommt man in jeder Minute, die er auf der Bühne steht, zu hören und zu sehen. Für die letzten Produktionen von Tanz der Vampire, bei denen er die Grafenrolle übernommen hatte, hat er sich zusätzlich zu seinen schon länger bestehenden Ideen für die musikalische Interpretation noch ein paar kleine Extras überlegt, wie z.B.:
- das "Nichts" in Gott ist tot ("wenn ich dich rufe, hält dich nichts mehr zurück") mit tiefer Stimme auf die durchdringendste Art und Weise zu sprechen statt zu singen, was bei mir jedes Mal für einen unglaublichen "Gänsehautmoment" gesorgt hat.
- mit ähnlich großer Wirkung die "Sicherheit" in Einladung zum Ball ("doch du hast immer schon geahnt, dass ihre Sicherheit ein großer Schwindel war") mit triefender Verachtung und unglaublichem Spott auszusprechen (statt zu singen), was dem Charakter des Grafen mit einem Schlag zusätzliche Tiefe verliehen hat.
- bei Vor dem Schloss nach "von der Krankheit der Traurigkeit kann es keine Erlösung geben" einige perfekt bemessene Momente in Gedanken versunken ins Leere zu starren und sein eigenes Leid mit einem seelen-zerreißenden Seufzer zu beklagen.
- die plötzliche Entlarvung der Sterblichen während der Tanzszene in Tanzsaal mit einem knochentrockenen "Soso..." zu kommentieren.
Diese Beispiele zeichnen nur ein kleines Bild dieser facettenreichen Rolle, die Thomas Borchert Abend für Abend für sich und vor allem für sein Publikum neu zu entdecken schien bzw. neu erfand.
Das letzte Beispiel beweist für mich nur allzu deutlich, wie gekonnt Thomas Borchert hier seine Begabung als wandelbarer Künstler in dieser Rolle eingesetzt hat: Ich bezweifle, dass ich bei einem anderen Grafen-Darsteller einen Charakterzug, der die Hauptfigur, in egal welcher Szene, dazu veranlasst die Worte "Soso..." mit hochgezogenen Augenbrauen auszusprechen, als passend empfinden würde. Viele dieser charakterlichen Eigenheiten, die Thomas Borchert dem Grafen angedacht hat, würden bei anderen Hauptdarstellern nur schwerlich funktionieren.
Das letzte Beispiel beweist für mich nur allzu deutlich, wie gekonnt Thomas Borchert hier seine Begabung als wandelbarer Künstler in dieser Rolle eingesetzt hat: Ich bezweifle, dass ich bei einem anderen Grafen-Darsteller einen Charakterzug, der die Hauptfigur, in egal welcher Szene, dazu veranlasst die Worte "Soso..." mit hochgezogenen Augenbrauen auszusprechen, als passend empfinden würde. Viele dieser charakterlichen Eigenheiten, die Thomas Borchert dem Grafen angedacht hat, würden bei anderen Hauptdarstellern nur schwerlich funktionieren.
Natürlich hatte Thomas das Glück, 15 Jahre lang (on and off) an der Interpretation dieser speziellen Rolle basteln zu dürfen, was ihm einen großen Vorsprung gegenüber anderen Kollegen verschafft hat, die die Grafenrolle erst wenige Male spielen bzw. erst vor Kurzem für sich entdecken durften.
Das Spannende – dass ich oben bereits kurz erwähnt habe – ist allerdings, das Thomas Borchert nie stillgehalten hat. Er hat sich nie in einer Interpretation festgefahren; er hat dem Grafen von Produktion zu Produktion eine weitere Facette hinzugefügt. Das heißt nicht, dass seine Interpretationen je die Aussicht darauf gehabt hätten, vollkommen zu sein.
Weit gefehlt: Thomas Borcherts Graf hat sich durch seine Wandlungsfähigkeit ausgezeichnet. Oft wusste ich von Vorstellung zu Vorstellung als Zuschauer nicht, welcher Charakterzug heute stärker hervortreten würde: der Schelm, der Verführer, der vom ewigen Leid Gemarterte oder der Skrupellose, der für das Erreichen seiner Ziele über Leichen geht.
Doch egal welchem Charakterzug er für mich entsprochen hat, auf der Bühne hat Thomas Borcherts Graf immer alles im Griff gehabt (außer natürlich bei der Gier, aber das ist eine eigene Geschichte) – und er hat sein Publikum unzweifelhaft in jeder Sekunde in den Bann gezogen.
Weit gefehlt: Thomas Borcherts Graf hat sich durch seine Wandlungsfähigkeit ausgezeichnet. Oft wusste ich von Vorstellung zu Vorstellung als Zuschauer nicht, welcher Charakterzug heute stärker hervortreten würde: der Schelm, der Verführer, der vom ewigen Leid Gemarterte oder der Skrupellose, der für das Erreichen seiner Ziele über Leichen geht.
Doch egal welchem Charakterzug er für mich entsprochen hat, auf der Bühne hat Thomas Borcherts Graf immer alles im Griff gehabt (außer natürlich bei der Gier, aber das ist eine eigene Geschichte) – und er hat sein Publikum unzweifelhaft in jeder Sekunde in den Bann gezogen.
Thomas Borcherts Tanz der Vampire Dernière war ein grandioser Abschluss der Spielzeit dieses Ausnahmekünstlers, der uns auf seine spezielle Art und Weise – oft nur durch einen Gesichtsausdruck oder durch eine einzelne Geste – zum Lachen brachte, den Atem anhalten ließ oder zu Tränen rührte und (ich kann es nicht oft genug betonen, denn das ist es was seinen Grafen so außergewöhnlich gemacht hat) nahezu von Abend zu Abend überraschte!
Meine Lieblingsszene in Tanz der Vampire ist Vor dem Schloss: 1. weil dies die einzige Sequenz ist, in der der Graf eine offizielle Sprechrolle hat – hier kann er so richtig zeigen, was er "außer Singen sonst noch draufhat" – und 2. weil es die einzige Szene ist, in der unsere "Helden" mit dem Antagonisten von Angesicht zu Angesicht reden können, ohne sich fürchten zu müssen gleich gebissen zu werden (ergo: Story- und Character-Building).
Thomas Borchert hat sich bei seinem letzten Auftritt als Graf von Krolock gestern in meinem Gedächtnis damit verewigt, dass er bei Vor dem Schloss
- nach seinem Sinnen über sein trauriges Leben nicht nur einmal, sondern gleich zweimal herzzerreißend theatralisch geseufzt hat – bis er endlich Applaus dafür bekommen hat.
- sich für einen Moment selbst nicht sicher zu sein schien, ob sein Schloss wirklich aus dem "späten 13. Jahrhundert" stammt (wie vom Professor angenommen) und es deshalb selbst erst einmal mit neu erwachten Interesse eingehend in Augenschein nehmen musste.
- von Professor Abronsius Identität derart enthusiastisch (um nicht zu sagen: sarkastisch) begeistert war, dass man meinen könnte, er würde einen seiner über-enthusiastischen Fans an der Bühnentür nachmachen.
Zusätzlich zu diesen schauspielerisch genialen Häppchen, die wieder einmal Thomas Borcherts komödiantisches Talent bewiesen haben, war sein "Befrein" am Ende von Vor dem Schloss ("wird deine Liebe Leben sein und dich befrein") schon immer – und so auch an diesem Abend – etwas ganz Besonderes: ein Ton, der wie eine immer stärker werdende Energiesparlampe langsam alle Ecken des Theaters ausgefüllt hat, bis der Zuschauerraum zum Bersten mit Energie und jedes einzelne Haar bis in die Spitzen mit Elektrizität gefüllt war.
Bei manchen Vorstellungen von Tanz der Vampire mache ich mir Gedanken über diesen Ton (wird er auch heute das Theater bis zum Bersten ausfüllen? wird er dieselbe Energie erzeugen?). Nicht so bei Vorstellungen mit Thomas Borchert, denn er scheint in diesem Crescendo zu wohnen, in dieser Begeisterung, die das Leben zu bieten hat. Und so war es auch gestern – das letzte "Befrein" hat alles getoppt, was ich bis dahin in Vor dem Schloss gehört habe.
Bei manchen Vorstellungen von Tanz der Vampire mache ich mir Gedanken über diesen Ton (wird er auch heute das Theater bis zum Bersten ausfüllen? wird er dieselbe Energie erzeugen?). Nicht so bei Vorstellungen mit Thomas Borchert, denn er scheint in diesem Crescendo zu wohnen, in dieser Begeisterung, die das Leben zu bieten hat. Und so war es auch gestern – das letzte "Befrein" hat alles getoppt, was ich bis dahin in Vor dem Schloss gehört habe.
Aber nicht nur spezielle Szenen in Tanz der Vampire gehen mir besonders nahe, sondern auch bestimmte Songs, wie z.B. die Unstillbare Gier – aus ganz einfachen Gründen: weil sie den psychologischen Höhepunkt der Hauptfigur in diesem Stück bildet und weil sie eine der schönsten Komposition von Jim Steinman ist.
Thomas Borchert hat es allerdings gestern zum ersten Mal seit einigen Monaten geschafft, mich bei dieser Szene zu Tränen zu rühren. Er hat noch einmal alles in diese 7-8 Minuten hineingesteckt: all das Leid, die Wut, die Verzweiflung und die Verachtung.
Das Intro sowie die erste Strophe dieser speziellen Gier hat er unglaublich sanft und verletzlich angesetzt (anders als seine bisherige Herangehensweise an dieses Lied) und erst bei "wie immer wenn ich nach dem Leben griff" mit vollem Stimmvolumen gesungen.
Alle langen Töne am gegen Ende der Gier hat er umwerfend ausgekostet und wie bei jeder Vorstellung – aber diesmal durch die geschärfte Aufmerksamkeit des Publikums, das über seinen letzten Auftritt informiert war, noch eindrucksvoller gemacht – jedem einzelnen Besucher mit einem Hauch von eiskaltem Hohn die Tatsache vor Augen geführt, dass die Gier unser einzig wahrer Gott ist. Diesen Abschnitt der Gier hat Thomas Borchert bei jeder Vorstellung, der ich beiwohnen konnte, so bestechend gesungen bzw. gesprochen, dass ich bei ihm immer das Gefühl hatte, sein Graf möchte jedem Einzelnen von uns klar machen, auf welch schiefer Ebene wir uns Richtung Abgrund bewegen.*
Thomas Borchert hat es allerdings gestern zum ersten Mal seit einigen Monaten geschafft, mich bei dieser Szene zu Tränen zu rühren. Er hat noch einmal alles in diese 7-8 Minuten hineingesteckt: all das Leid, die Wut, die Verzweiflung und die Verachtung.
Das Intro sowie die erste Strophe dieser speziellen Gier hat er unglaublich sanft und verletzlich angesetzt (anders als seine bisherige Herangehensweise an dieses Lied) und erst bei "wie immer wenn ich nach dem Leben griff" mit vollem Stimmvolumen gesungen.
Alle langen Töne am gegen Ende der Gier hat er umwerfend ausgekostet und wie bei jeder Vorstellung – aber diesmal durch die geschärfte Aufmerksamkeit des Publikums, das über seinen letzten Auftritt informiert war, noch eindrucksvoller gemacht – jedem einzelnen Besucher mit einem Hauch von eiskaltem Hohn die Tatsache vor Augen geführt, dass die Gier unser einzig wahrer Gott ist. Diesen Abschnitt der Gier hat Thomas Borchert bei jeder Vorstellung, der ich beiwohnen konnte, so bestechend gesungen bzw. gesprochen, dass ich bei ihm immer das Gefühl hatte, sein Graf möchte jedem Einzelnen von uns klar machen, auf welch schiefer Ebene wir uns Richtung Abgrund bewegen.*
Der Musicaldarsteller Thomas Borchert hatte für mich schon immer etwas "Grafenhaftes" und Respekteinflößendes an sich, was wohl großteils an seiner Rollenauswahl liegt: Graf von Monte Christo, Graf Dracula, Graf von Krolock, Jekyll/Hyde...
Thomas Borchert hat all diesen Grafen und/bzw. Monstern ein "musicalisches" Leben eingehaucht; hat ihnen eine Stimme verliehen und somit die deutschsprachige Musicalwelt in Richtung "Monster und Mysterien" erweitert. Aber was noch wichtiger ist: er hat mitgeholfen, ihnen menschliche Eigenschaften zu verleihen, und diesen dadurch um viele Facetten reicher gewordenen Figuren den Zugang zu den Herzen der Menschen erleichtert.
Ich glaube, es wird einige Zeit vergehen, bis ich bei "Seit ihr....bereit?" (Tanzsaal) – sowie bei einigen anderen Sequenzen in Tanz der Vampire – in unbedachten Momenten eine andere Stimme als die von Thomas Borchert hören werde.
Ich glaube, es wird einige Zeit vergehen, bis ich bei "Seit ihr....bereit?" (Tanzsaal) – sowie bei einigen anderen Sequenzen in Tanz der Vampire – in unbedachten Momenten eine andere Stimme als die von Thomas Borchert hören werde.
*Da der Graf aber natürlich keine Figur mit moralischer Vorbildwirkung ist, geht auch der belehrende Sinn der Unstillbaren Gier in dem frenetischen Applaus, der jeder Darbietung dieses Liedes folgt (und im Prinzip nur die Interpretation würdigt und nicht die Botschaft) eigentlich immer verloren – und daran konnte nicht einmal Thomas Borchert viel ändern, da dies einfach ein Story-technisches Manko von Tanz der Vampire ist.