26.12.18

Musical Tenors – Older But Not Wiser 17.12.2018, Theater Akzent

Till I hear you sing once more!

Das zweite Konzert der Older But Not Wiser-Tour der Musical Tenors im Theater Akzent bildete den Abschluss ihrer aktuellen Konzertreihe im Jahr 2018. Nahezu sieben Jahre waren vergangen seit die deutschen Musicalstars das erste Mal in dieser Konstellation auf Tour gegangen sind: Jan Ammann, Mark Seibert, Christian Alexander Müller und Patrick Stanke; dieses Mal begleitet von einer Band, deren maßvoller Einsatz von Flügel, Syntheziser, Schlagzeug, Bass, akustische und E-Gitarre perfekt auf die Stimmung der jeweiligen Lieder angepasst war. 

(c) Sound of Music GmbH
Die Lieder, die die Musical Tenors bei diesem Konzert gesungen haben:

Limelight (aus The Gambler)
Heut ist der Tag/Constance/Wo ist der Sommer/Engel aus Kristall/Wer kann schon ohne Liebe sein (aus 3 Musketiere)
In der Straße wohnst du (aus My Fair Lady)
Leuchtturm (Nena) –Jan Ammann
Die Schatten werden länger (aus Elisabeth) – Mark Seibert und Patrick Stanke
Du warst mein Licht (Keith Urban) – Patrick Stanke
Ein Traum ohne Anfang und Ende (aus Die Päpstin) – Mark Seibert
Never Enough (aus The Greatest Showman) – Christian Alexander Müller
Memory (multilingual) (aus Cats)
The Impossible Dream/The Man of La Mancha (aus The Man of La Mancha)
I believe in you (je crois en toi) (Il Divo & Celine Dion) – mit Special Guest Maya Hakvoort
More than words (Extreme)
Closer to Heaven (aus Gaudi)
This is the Moment (aus Jekyll & Hyde)
Wie wird man seinen Schatten los? (aus Mozart!) – Patrick Stanke
Till I hear you sing once more (aus Love Never Dies) – Jan Ammann und Christian Alexander Müller
Letzter Vorhang (aus Schikaneder) – Mark Seibert
Kalte Sterne (aus Ludwig²) – Jan Ammann
Die Unstillbare Gier (aus Tanz der Vampire) – Jan Ammann und Mark Seibert
Bring ihn heim (aus Les Misérables) – Christian Alexander Müller und Patrick Stanke
Die Musik der Nacht (aus Das Phantom der Oper) – Christian Alexander Müller
Show Must Go On/Who wants to live forever (aus We will rock you)
Totale Finsternis (aus Tanz der Vampire) – mit Special Guest Maya Hakvoort
Am Ende bleiben Tränen (tu cosa fai stasera) (Roland Kaiser)
Vivo per Lei (Andrea Bocelli)
Super Trouper/Dancing Queen/Mamma Mia/Gimme, Gimme, Gimme (aus Mamma Mia!)
Look with your heart (aus Love Never Dies)

Bis auf einige wenige Ausnahmen sind alle Lieder textsicher, astrein und die jeweiligen stimmlichen Stärken der Sänger unterstützend, präsentiert worden. Highlights, die jedes Mal mit Standing Ovations quittiert wurden, gab es en masse.

Nach einem fulminanten Einstieg ins Metier Musical mit Limelight, mit dem die Musical Tenors an ihre erste Tour erinnerten, kurz gefolgt von einem grandiosen 3 Musketiere-Medley, sang Jan Ammann das erste tiefgründige (Solo-) Lied des Abends: Leuchtturm, eine in dieser Version sehr berührende Ode an das Gefühl des Geborgenseins trotz eines hektischen Lebensstils.
Alle Sänger erzählten an diesem Abend mit ihren Solostücken auf ihre eigene Art und Weise von den Veränderungen, die sie seit der ersten Musical Tenors-Tour durchgemacht hatten: Patrick Stanke begleitete sich selbst am Flügel zu einem sehr authentisch präsentierten Du warst mein Licht (deutscher Text von Sound of Music-Geschäftsführer Andreas Luketa), während Christian Alexander Müller mit seinem noch die verstaubtesten Winkel des Theaters erschütternden Die Musik der Nacht an seine außergewöhnliche Zeit als Phantom der Oper erinnerte.

Bei den Duetten sorgten sowohl ein durch Mark und Bein gehendes Till I hear you sing once more von Jan Ammann und Christian Alexander Müller, als natürlich Die Unstillbare Gier von Jan Ammann und Mark Seibert für Furore. Zweiterem konnte an diesem Abend tatsächlich das Siegel "Perfekt!" (für diese spezielle Duett-Version) verliehen werden. Die Ballade aus Tanz der Vampire, die für dieses Konzert zu einem Duett umfunktioniert worden war (abwechselndes Singen der Strophen und des Refrains), wurde von beiden Sängern mit derartiger Stimmfertigkeit, einem mustergültigen Maß an Inbrunst und in perfekter Abstimmung mit der Band gesungen, dass sie das gesamte Publikum mit dem letzten Ton praktisch aus den Sitzen rissen.
Schlag auf Schlag ging es danach weiter mit den starken Emotionen: Auf Christian Alexander Müllers und Patrick Stankes herzzerreißendes Bring ihn heim folgte Mark Seiberts wie immer makellos intonierter Letzter Vorhang.

Unter die Haut gingen auch nahezu alle Lieder, die die Musical Tenors an diesem Abend in voller Besetzung sangen, und man könnte hier je nach subjektiver Vorliebe eine ganze Reihe von weiteren Highlights aufzählen.
Besonders bemerkenswert war allerdings der sehr geruhsame Abschluss des Konzerts: Mit dem stimmungsvollen Look with your heart, holten die Tenors das hoch animierte und bereits im Takt mitklatschende Publikum wieder in ihre Sessel zurück, und entließen es mit sehr sanften Tönen in den Abend.

Special Guest an diesem Abend war Maya Hakvoort, die die Musical Tenors vor der Pause bei I believe in you gekonnt unterstützte und sich im zweiten Teil des Abends einige Lacher holen konnte, als sie auf eine sehr übertriebene, aber zur Situation (vier Männer, eine Dame) passende Art den weiblichen Part bei Totale Finsternis singen durfte.

Musical Tenors – Older But Not Wiser war eines der besten Musical-Konzerte, das ich bis dato im Theater Akzent erleben durfte. Einerseits hat es mir die exzellente Songauswahl und die vortreffliche Besetzung der jeweiligen Lieder angetan, andererseits war es das Level an gemeinsamer stimmlicher Professionalität, auf das sich die Musical Tenors bei dieser Tournee hingearbeitet hatten.
Bravo! In Zukunft bitte bald wieder so eine Tour!

18.8.18

Ludwig², Festspielhaus Füssen

Flieg, Gedanke, flieg, eine neue Zeit ist nah!

Ludwig², das Musical, das durch seinen jahrelangen Kampf gegen eine Vielzahl monetärer Probleme nahezu ebenso sagenumwoben ist wie Ludwig II. selbst, läuft gerade in der aktuellsten Fassung in seiner Ursprungsstadt Füssen.


Während mich einzelne Szenen und Details von Ludwig² bei meinem ersten Besuch des Musicals am vergangenen Wochenende über alle Maßen beeindruckt haben, hat es leider vorrangig im 1. Akt in einigen prägnanten Punkten geschwächelt, was zum Teil möglicherweise an beschränkten finanziellen Mitteln liegt, zum Teil aber auch auf dramaturgische Fantasielosigkeit zurückgeführt werden kann.

Ludwigs Festspielhaus – Die Technik:

Ludwig² war für mich das erste Musical, in dem die Musik vom Band kommt – was am qualitativen Gesamteindruck, den das Stück per se hinterlässt, im Endeffekt nichts verändert, für Fans von Konstantin Wecker, Nic Raine und Christopher Franke, die deren Musik gerne live hören möchten, aber durchaus wissenswert ist. Der Dirigent, der im Orchestergraben zu sehen ist, dirigiert nur die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne, für die restliche Beschallung sind die Tontechniker zuständig.
Leider führt das Stichwort Tontechnik zum nächsten wunden Punkt des Musicals: der Aussteuerung. Von der laut dem Ludwig²-Programmheft „ausgezeichneten“ Akustik merkt man leider nicht viel, wenn man die Darstellerinnen und Darsteller oftmals nur unzureichend versteht – vor allem in jenen Szenen, in denen sie auf der Bühne versuchen, die sehr geräuschvolle Hintergrundmusik mit Gesprächen zu übertönen.

Positiv anzumerken in Bezug auf Ausstattung und Technik ist in erster Linie die beeindruckende, bis weit in die Tiefen des Festspielhauses zurückreichende Bühne, unter der sich der hauseigene See befindet, der hervorragend genutzt wird: Das Gewässer, dessen Tiefe von knietief bis (scheinbar) mehrere Meter reicht, und das vor allem in den finalen Szenen des Stückes, die am Starnberger See spielen, eine wichtige Rolle innehat, sorgt zwischendurch immer wieder mit Nebel bedeckt für eine zum Stück passende, mystische Atmosphäre. Weiters wird der See einige Male gewinnbringend dazu eingesetzt, die Bühne in zwei Ebenen zu teilen, damit im Hintergrund am gegenüberliegenden Ufer ein zusätzlicher Handlungsstrang gewoben werden kann.
Selbst die etwas überflüssige Tänzerin im Wasser bei Mein Ritter leistet einen inhaltlichen Beitrag zum Musical, wenn sie in ebenjenem Lied Ludwig im Kindesalter in ein Boot setzt und dieses über den See hinweg zum erwachsenen Ludwig, der am hinteren Bühnenrand auf sein Alter Ego wartet, bugsiert.

Ebenfalls punkten kann Ludwig² mit äußerst imposanten Farbeffekten, die zuweilen die gesamte Stimmung einer Sequenz beherrschen und von einem Moment auf den nächsten komplett verändern können. Als Beispiel sei hier die visuell überwältigende, komplett in tiefrotes Licht getauchte Szene genannt, in der Elisabeth (Anna Hofbauer) in einem Blütenregen Rosenkavaliere singt. Diese Farbe und deren Ausstrahlung wird wenig später in jener Szene in der der König mit Das Auge nass wegen der Trennung von Elisabeth trauert, eindrucksvoll mithilfe des von der Decke hängenden tiefroten „Königsmantels“ eingefangen und reflektiert. 

Ludwig² – Der Inhalt: 

Bei den meisten Musicals dauert die erste Hälfte vor der Pause länger, während die zweite Hälfte deutlich kürzer ist. Ludwig² ist für mich das erste Stück, bei dem dies umgekehrt ist – zum Glück, muss hier paradoxerweise gesagt werden, da die einzelnen Zahnräder der verschiedenen Abschnitte des Lebens des jungen Königs mehr schlecht als recht ineinandergreifen. Knapp die Hälfte des 1. Akts beschäftigt sich mit dem Aufwachsen des Prinzen im Hause Wittelsbach und danach muss man Ludwig bis zur Pause dabei zusehen, wie er Elisabeth nachläuft. 
Das Problem ist nicht, dass die Übergänge zwischen den hier porträtierten Lebensabschnitten Ludwigs II. nicht flüssig wiedergegeben sind, sondern vielmehr, dass im Musical auf Vorkommnisse angespielt wird, die beim Publikum, das vor dem Besuch keine passende Biographie gelesen hat, ein Bedürfnis nach näherer Erklärung aufkommen lassen.
Zusätzlich zum Gefühl inhaltliche Löcher überspringen zu müssen, hat man als Zuschauerin und Zuschauer im 1. Akt oft den Eindruck, dass die vom Musical evozierten Emotionen auf der Stelle stehen bleiben bzw. im Kreis laufen (Rosenkavaliere: unglücklich verliebt sein; In Palästen geboren: einschränkende Lebensumstände, unglücklich verliebt sein; Das Auge nass: Abschied nehmen, sich von der Vergangenheit lossagen; Mein Engel: nach vorne schauen; sich von der Vergangenheit lossagen).

Rare dramaturgische Schwachstellen, die für ein leichtes Gefühl der Unsicherheit und der Repetition sorgen, sind für gewöhnlich nicht tragisch. Wenn sie sich allerdings – wie bei Ludwig² – häufen, dann wird der Flow des Stückes dadurch maßgeblich beeinträchtigt. 
Diese Tatsache kann natürlich auch darauf zurückgeführt werden, dass man von dutzenden klarer strukturierten Musicals verwöhnt ist, und dass manches in Ludwig² mit Absicht der Interpretationsfreiheit der Zuschauerinnen und Zuschauer überlassen wird. Allerdings gibt es viele biografisch angehauchte Musicals, die bedeutend weniger Jahre zur Entwicklung ihres Inhalts Zeit hatten, deren Handlungsabläufe mir aber als wesentlich vollständiger erscheinen.

Im 2. Akt sind die inhaltlichen Abläufe um vieles besser als im 1. Akt: Es geht um den Krieg gegen Preußen und später gegen Frankreich, um die Verschwörung der bayrischen Ministerräte und Ludwigs „Geisteskrankheit“. Auch hier gibt es ein paar dramaturgische Durchhänger, aber die dicht gedrängte, direkt aus der europäischen Geschichte entnommene Dramatik hat es Autor Rolf Rettberg scheinbar erleichtert, diesen Teil von Ludwigs Leben in ein inhaltlich schlüssiges Bühnenwerk umzuwandeln. 
Am herausragendsten sind im 2. Akt Abend für Abend: So kalt mein Herz, Kalte Sterne, Schwarze Schatten (mit Dennis Henschel als phänomenalem Schattenmann) und Geliebte Berge. Letztgenanntes ist das „Abschiedslied“ des Königs am Ufer des Starnberger Sees, sein Trauergesang auf sein eigenes Leben und all die geplanten Vorhaben zugunsten der Kunst, die er nicht vollbringen konnte. Dies ist einer der ergreifendsten Momente des Musicals, in dem der Liedtext – wie beim Großteil aller Lieder des Stückes – perfekt nach Füssen und zu dem, was wir heute über Ludwig II. wissen, passt.

Der gesamte mitreißende 2. Akt von Ludwig² lebt von der Persönlichkeit des erwachsenen Königs, die aufgrund des tiefgründigen Inhalts weitaus facettenreicher ausfällt als jene des 1. Akts. Diese singuläre Figur, deren politischem Fall und Sturz ins Verderben man hier beiwohnt, hat im zweiten Abschnitt das Stück vollends zu tragen und beherrscht die Bühne mit je nach Darstellervorliebe mal mehr, mal weniger wankelmütigem Naturell.
Da Ludwig² als eine Art „Nationalmusical“ Bayerns bezeichnet werden könnte, wird der König wie erwartet als vorrangig exzentrisch und nicht als „geisteskrank“ porträtiert – und der Grad der Exzentrik ist dankenswerterweise dem jeweiligen Hauptdarsteller überlassen.

Jan Ammann und Matthias Stockinger – Die Hauptdarsteller

Jan Ammann spielt den König mit einer Souveränität, die verrät, dass ihm diese Rolle im Lauf des letzten Jahrzehnts schon in Fleisch und Blut übergegangen ist. Was allerdings nicht bedeutet, dass man ihm den zu Beginn noch verträumten und ohne Zurückhaltung schwärmenden Ludwig abnimmt – Jan Ammanns Schauspiel beweist sich vorrangig im 2. Akt, wenn er den bereits verbitterten und von der Welt enttäuschten König spielen darf. Sein Ludwig ist sehr unnahbar und melancholisch, was den Absturz in seinen zwischen  heiterem Übermut und tiefer Trauer schwankendem „Wahnsinn“ noch deutlicher aufzeigt und signifikant erschreckender macht.

Matthias Stockingers Ludwig ist von Beginn an ein weitaus expressiverer König, dem auch vor den ersten Anzeichen seiner „Geisteskrankheit“ schon Trauer, Verzweiflung, Freude und Liebe auf einen Blick anzumerken sind. Da man seinem ausdrucksstarken König so schnell hinter die Maske blicken kann, ist er am Ende ganz anders  bemitleidenswert als der völlig gebrochene Ludwig Jan Ammanns. Der schleichenden, abgrundtiefen Verzweiflung von Matthias Stockingers König wird man (wie die Figur selbst) erst nach und nach gewahr – wogegen man die relativ plötzlich eintretende, stoische Hilflosigkeit von Jan Ammanns Ludwig wie eine Faust in die Magengrube bekommt.

Beide Darsteller brillieren auf gänzlich unterschiedliche Eigenart in dieser Rolle: Jan Ammann scheint sich die meiste Zeit an gewisse Regievorgaben zu halten und ist gänzlich in seiner Rolle versunken, während Matthias Stockinger sich mehr Freiheiten zu nehmen scheint und  einige Male – soweit es die entsprechenden Szenen zulassen – direkt mit dem Publikum interagiert.
Es ist ein unbezahlbares Erlebnis, diese beiden Darsteller, die seit vielen Jahren so eng mit dieser Rolle verbunden sind, live erleben zu dürfen und so viele bemerkenswerte Unterschiede in ihrer Verkörperung des Königs entdecken zu können. Ins Gedächtnis brennen sich hier die beseelte Art und Weise auf die Jan Ammann mit seinem unvergleichlichen Timbre die Lieder von Ludwig² live intoniert genauso wie all die präzisierten schauspielerischen Nuancen, mit denen Matthias Stockinger Ludwig II. Leben einhaucht.

Wer sich das nicht entgehen lassen will, der kann die beiden Akteure noch bis Jänner 2019 in diesen Rollen in Füssen sehen – in einem Musical, das beim ersten Mal sowohl negativ als auch positiv überrascht und deshalb auf vielerlei Art sehr zum Nachdenken anregt. Und selbst wenn Ludwig² in Füssen ab und zu schwächelt, so überwiegt im Endeffekt die Begeisterung für ein musikalisches Denkmal, das einen weiteren Beitrag zu König Ludwigs II. Unsterblichkeit leistet – denn all die gelungenen Szenen, die berühren, berühren außergewöhnlich stark und lassen mich einfach nicht mehr los. Ich würde mir dieses Musical sofort noch einmal anschauen.


Kleines Detail am Rande:
Ludwigs Festspielhaus ist in diesem Sommer nicht (wie im Programmheft angekündigt) mit dem Schiff erreichbar, da der Forggensee aufgrund von Bauarbeiten am Staudamm des Lech zum Großteil unbefüllt ist.

22.7.18

Blutsbrüder, Sommerfestspiele Brunn am Gebirge

Warum hast du alles und ich nichts?

Blutsbrüder, das in den 1980ern aus einem Theaterstück über die englischen Klassenunterschiede entstandene Musical, läuft seit dieser Woche im Veranstaltungszentrum Bruno in Brunn am Gebirge. Bei dieser deutschen Inszenierung wird die Übersetzung von Dorothea Renckhoff verwendet, in der der Liverpooler Slang des Kultstücks äußerst lebendig zu Umgangssprache, die in unseren Breiten verwendet wird, abgeändert worden ist.
Intendantin Maya Hakvoort hat das Musical – sofern es Inhalt und Text zuließen – ins Hier und Jetzt versetzt und es gemeinsam mit Regisseur Dean Welterlen perfekt dem intimen Rahmen des Veranstaltungszentrums Bruno angepasst. Die kleine Bühne des Festsaals, unter deren spartanischer, jedoch völlig ausreichender Kulisse sogar die siebenköpfige Band Platz findet, wird von zehn namhaften Musicaldarstellerinnen und Musicaldarstellern sowie drei ausgezeichneten Kinderdarstellerinnen und Kinderdarstellern (Hannah Hruska, Lili Beetz und Jonas Peter Zeiler) bespielt – und zwar auf eine Art und Weise, die auch bei dem an eine tempo- und actionreiche Show gewöhnten Musicalpublikum keine Langeweile aufkommen lassen sollte.

Willy Russells Blutsbrüder ist ein absolutes Kontrastprogramm zu den meisten anderen Stücken, die in diesem Jahr in Wien und Umgebung inszeniert worden sind, die aber alle ohne viel Federlesen gemeinsam in den Topf „Musical“ geworfen werden. Dieser Stempel wird vielen Bühnenwerken schnell und gerne aufgedrückt, ist bei Blutsbrüder aber eher suboptimal, da man sich heutzutage unter der Bezeichnung „Musical“ zumeist entweder einen schwungvollen, kurzweiligen Bühnenabend mit Happy End oder ein Drama mit übertrieben gefühlsbetonter (musikalischer) Tour de Force erwartet – und Blutsbrüder ist weder das eine noch das andere.
Dieses in Richtung Kammerspiel gehende Stück ist ein eher besinnliches, wenn auch keineswegs zurückhaltendes soziales Drama, das einem wieder einmal vor Augen führt, dass Musical auch anspruchsvolle Unterhaltung sein kann, bei der (ohne einer bestimmten demografischen Gruppe die Schuld in die Schuhe zu schieben) nachdrücklich aktuelle Missstände unserer Gesellschaft aufgezeigt werden können – was bei der noch lange nachwirkenden Brunner Inszenierung auch mit außerordentlicher Intensität gelingt.
Die aktuelle Produktion von Blutsbrüder schafft den Spagat zwischen dem Unterhaltungsmusical und Musiktheater von Niveau hervorragend – vorrangig ist das Stück aber nun einmal eine niederschmetternde Tragödie. Wer bereit ist, sich auf die Handlung einzulassen, und die Botschaften, die hier vermittelt werden, aufnehmen will, der begibt sich auf eine höchst unterhaltsame und bewegende Reise, auf der die Protagonistinnen und Protagonisten unablässig vom Damoklesschwert „gesellschaftliche Konventionen“ bedroht werden.


Die beiden Protagonistinnen in Blutsbrüder, die sich am jeweils anderen Ende des sozialen Spektrums befinden, werden in Brunn von Maya Hakvoort (Mrs Johnstone) und Ann Mandrella (Mrs Lyons) gespielt, welche beide sowohl gesanglich als auch schauspielerisch als verzweifelte Mütter, deren Schicksale sich großteils durch Selbstverschulden immer wieder ineinander verstricken, glänzen.

Drew Sarich gibt gekonnt den Erzähler, dessen Wandlungsfähigkeit es ihm erlaubt, sowohl das (etwas hinterhältige) Gewissen der beiden Mütter zu spielen, als auch ab und zu mit sichtlichem Vergnügen an der Handlung teilzunehmen.
 
Johannes Huth (Edward Lyons) und Daniel Eckert (Mickey Johnstone) wurden als die bei der Geburt getrennten Zwillingsbrüder engagiert und können somit ihr Repertoire um zwei der anspruchsvollsten Rollen erweitern, die das Musicalbusiness zu bieten hat. In Blutsbrüder – das schließlich auch mehrere Coming-of-Age-Storys erzählt – stellen die beiden Musicaldarsteller ihre exzellenten schauspielerischen Fähigkeiten, die es ihnen erlauben, glaubwürdig die Geschichte zweier Heranwachsender zu erzählen, unter Beweis. Die Leben ihrer Figuren werden im Alter von sieben Jahren irreversibel miteinander verknüpft und erst ca. 20 Jahre später durch ihre eigenen Hände wieder voneinander gelöst.
Die für einen Musicaldarsteller seltene Herausforderung eine Rolle zu verkörpern, in der sich sein Schauspiel von einem aufgeweckten Siebenjährigen über einen vor Hormonen sprühenden Jugendlichen bis zu einem (im Fall von Johannes Huth) mit beiden Beinen fest im Leben stehenden Stadtrat bzw. bis zu einem (im Fall von Daniel Eckert) von den Misserfolgen des Lebens gebrochenen Ex-Häftling zu spannen hat, meistern beide Akteure mit Bravour. Sie spielen ihre Figuren mit derart akribisch an verschiedene Altersstufen angepasster Gestik, Mimik und Sprache, dass man ihnen ihre wie auch immer geartete Manier in jeder Szene gänzlich abnimmt.
Johannes Huth und Daniel Eckert sorgen somit – neben Maya Hakvoort als Mrs. Johnstone – für die klarsten Charaktere in Blutsbrüder und tragen das gesamte Stück von ihrem ersten Auftritt bis zum Ende. Zusätzlich dazu harmonieren sie sowohl wunderbar miteinander als auch mit Missy May, die die beiden Brüder als entzückend lebenslustige Linda auf ihrer extensiven und intensiven Reise zum Erwachsenwerden begleitet.

Weiters sind in Blutsbrüder noch Thomas Weissengruber, Matthias Trattner, Jasmin Shahali und Wolfgang Postlbauer zu sehen, von denen jede und jeder sehr überzeugend mehrere Nebenrollen spielt.


Blutsbrüder in Brunn am Gebirge ist die beste Sommermusical-Produktion in Wien Umgebung, die ich in diesem Jahr bis jetzt gesehen habe. Dass alle Mitwirkenden selbst mit Herz und Seele im Stück involviert sind, sieht man auch im hauseigenen Video-Log, der einen Einblick in die vergangenen Probenwochen gewährt:

 


Wer sich die Chance auf einen außergewöhnlichen Musicalabend nicht entgehen lassen will, der kann sich das sehr empfehlenswerte Stück noch bis zum 11. August bei den Sommerfestspielen Brunn am Gebirge (die mit der S-Bahn von Wien aus innerhalb von 20 Minuten erreichbar sind) anschauen.

17.7.18

3 Musketiere, Musicalsommer Winzendorf

Ihr Name klingt in mir wie ein Lied!

Winzendorf bei Wiener Neustadt, das mir bis zum vergangenen Jahr nur durch seine Karl May Festspiele im hauseigenen Steinbruch bekannt war, stellt unter der Intendanz von Marika Lichter seit 2017 auch Musicalproduktionen auf die Beine. Dieses Jahr ist 3 Musketiere an der Reihe, ein Mantel-und-Degen-Musical mit Musik von Rob & Ferdi Bolland (Jeanny, Rock me Amadeus), das vor 15 Jahren in Rotterdam uraufgeführt wurde.

Der Steinbruch Winzendorf eignet sich fantastisch für diese Art von Abenteuermelodram, weil er deutlich mehr Möglichkeiten als eine gewöhnliche Musicalbühne bietet: 
– Die "Bühne" bietet hier so viel Platz, dass selbst das aus ca. 15 Musikerinnen und Musikern bestehende Jam Music Lab Orchester Teil der Szenerie werden kann.
– Es gibt trotz des statischen Bühnenbildes mehrere Bühnenebenen sowie ein halbes Dutzend gut genutzter Ein- und Ausgänge.
– Die Dramatik kann nach Belieben durch den Einsatz von Nebelmaschinen, Springbrunnen und Flammenwerfern unterstrichen werden.
– Die Location ist für Pferde zugänglich, was 3 Musketiere mit den in nahezu jeder Szene einsetzbaren, augenscheinlich sehr gut trainierten Tieren den perfekten Abenteuer-Akzent verleiht.



Für die diesjährige Musicalproduktion konnten einige Darstellerinnen und Darsteller wiedergewonnen werden, die schon im vergangenen Sommer bei der Erstproduktion des Musicals Zorro mit dabei waren. Neben diesen in Winzendorf bereits bekannten Stimmen und Gesichtern hat man für 3 Musketiere auch einige Darstellerinnen und Darsteller aus verschiedenen Ensembles der Vereinigten Bühnen Wien rekrutiert. Und um nicht nur Musicalfans in den Steinbruch zu locken, hat man Zoe Straub, die Österreich 2016 beim Eurovision Song Contest vertreten hat, als Constance engagiert.

Zoe Straub hat weder die stimmlichen Kapazitäten der übrigen Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller noch deren klare und deutliche Aussprache, aber ihre kesse, sowie zugleich verlegene und erfrischend natürliche Art und Weise wie sie die Constance spielt, passt perfekt zu dieser Rolle. Schauspielerisch harmoniert sie wunderbar mit ihrem männlichen Gegenpart Christopher Dederichs, und sie ist bei der Vorstellung am vergangenen Sonntag nur bei ihrem gemeinsamen Liebesduett Alles neben ihm untergegangen.

Christopher Dederichs, der in der vergangenen Saison in Tanz der Vampire als Zweitbesetzung Alfred im Ronacher auf der Bühne gestanden ist, spielt einen D'Artagnan, wie er im Buche steht: ungestüm, frech, mutig und ohne mit der Wimper zu zucken ist er dazu bereit, sich um der Musketiere Ehre willen ins Verderben zu stürzen. Seine glanzvollsten Momente sind jene, in denen er wieder einmal durch seine lose Zunge oder (seltener) durch Pech in Schwierigkeiten gerät und sich entweder mit Slapstick oder mit Dialogwitz aus einer prekären Situation retten muss. 
Während Christopher Dederichs – gleich wie alle anderen Darstellerinnen und Darsteller – am vergangenen Sonntag vor allem zu Beginn des Stücks damit zu kämpfen hatte, dass er keinen Blickkontakt mit dem Orchester, das hinter den Sängerinnen und Sängern auf der Bühne sitzt, aufnehmen konnte, wurde sein Zusammenspiel mit allen Beteiligten im Lauf des Stücks immer besser, bis er im 1. Akt mit Constance seine Höchstleistung erreichte. Bei diesem schwungvollen Liebeslied, das perfekt durchchoreographiert ist, versprühte er derart viel Esprit und Freude, dass die in dieser Szene verbreitete ausgelassene Stimmung für mich noch bis zum 2. Akt anhielt.

Für die Rolle der Titelhelden konnten Christoph Apfelbeck (Athos), Florian Fetterle (Aramis) und Dirk Siebenmorgen (Porthos) gewonnen werden, deren gemeinsames Schauspiel und Gesang herrlich anzusehen und anzuhören ist, die aber auch brillant jene Elemente, von denen 3 Musketiere getragen wird, in den Vordergrund rücken: Freundschaft, Loyalität und Bereitschaft zum Abenteuer. Mit ihren gewandten Zungen und schimmernden Degen werden sowohl Feind als auch Freund einige (notwendige) Verletzungen zugefügt – und mit dem hitzköpfigen D'Artagnan findet ein ungemein herzliches Zusammenspiel statt.
Zusätzlich zu ihrer – durch ihren starken Sinn für Ehre und gemeinsamen Humor bestärkten – Einigkeit hat jeder der drei Musketiere auch noch einen bestimmen Charakterzug, der hier von jedem Darsteller passend eingesetzt wird. Christoph Apfelbeck darf als Athos – jener Musketier mit dem gebrochenen Herzen und der düsteren Vergangenheit – ein äußerst beeindruckendes Engel aus Kristall singen, bei dem er auf der weitläufigen Steinbruch-Bühne vom Ensemble unterstützt wird, das die von ihm erzählte Geschichte mit Tanzelementen visuell wiedergibt.

Mylady de Winter, jener "Engel aus Kristall", wird von Lisa Antoni dargestellt, die sowohl gesanglich als auch schauspielerisch fast alle Darstellerinnen und Darsteller mühelos in den Schatten stellt. Bei der Darbietung ihrer Lieder wird der Zuhörerin bzw. dem Zuhörer so richtig bewusst, dass 3 Musketiere für ein volles Orchester geschrieben wurde, und man beginnt sich in jenen Augenblicken nach ein paar Violinen zu sehnen.

An Lisa Antonis Seite steht Armin Kahl als Kardinal Richelieu, der eine weitere Idealbesetzung ist: Selbst in seiner finalen Szene, in der seine Intrigen bereits vom König aufgedeckt worden sind, verliert er nicht die Fassung oder gar die Kontrolle über seine respekteinflößende Stimme, und hält weiterhin mit eiserner Gelassenheit auf sein Ziel zu. Genau wie Lisa Antoni weiß Armin Kahl all seine hohen schauspielerischen Qualitäten perfekt einzusetzen und lotet mit sichtlich Spaß an seiner Rolle seine stimmlichen weit reichenden Höhen und Tiefen aus – was den Umstand, dass die Aussteuerung im Steinbruch Winzendorf in einigen prägnanten Szenen zu wünschen übrig lässt, sehr traurig macht, da der Kardinal in seinen visuell und musikalisch eindrucksvollsten Szenen (Glaubt mir! und unglaublich intensiv inszeniert: Nicht aus Stein) zeitweise vom Ensemble übertönt wird.

In der Darstellerriege nicht unerwähnt bleiben sollen auch Sarah Zippusch – deren Königin Anna sich sowohl gesanglich als auch schauspielerisch mehr Spielzeit auf der Bühne verdient hätte (Highlight: Wer kann schon ohne Liebe sein?) –  und Florian Klein als Conférencier, der am vergangenen Sonntag zwar beim Prolog 1. Akt noch ein wenig atemlos klang, aber nichtsdestotrotz vortrefflich und sehr einnehmend gesungen hat.
Das Leistung des gesamten Gesangsensembles befindet sich auf einem superben Niveau, das man bei manch größeren Musicalproduktionen, die ebenfalls nur über einen kurzen Zeitraum laufen, oftmals schmerzlich vermisst. 

Schmerzlich vermisst man als 3 Musketiere-Fan bei dieser Produktion nur das sogar für ein Musical außergewöhnlich dramatische Ensemble-Lied Die Überfahrt, das man allerdings mit dem Maß an Kreativität, das hier in Winzendorf zur Verfügung steht, sicherlich ebenfalls auf die eine oder andere Art und Weise inszenieren hätte können. 
Ansonsten seien negativ nur noch manch "ungenau" ausgeführte bzw. fehlgeschlagene Stunts/Slapstick-Momente dieser Produktion erwähnt. Fechten in Slow-Motion - ich sage nur: netter Versuch.
Ansonsten bietet der Musicalsommer Winzendorf dieses Jahr in einer äußerst eindrucksvollen Location ein mitreißendes Musical, das so richtig Lust auf Abenteuer weckt, mit seiner breiten Palette an Humor für jeden etwas dabei hat, und im 2. Akt auch noch gehörig auf die Tränendrüse zu drücken versteht.
Ein Abend für alle und alle für einen Abend!


Achtung: Spoiler!

Beide in 3 Musketiere vorkommenden Todesszenen sind bei dieser Produktion sehr emotional inszeniert: jene von Zoe Straub, weil sie in den Armen von Christopher Dederichs "stirbt", während dieser eine herzzerreißende, perfekt intonierte a-cappella-Version von Alles singt; und jene von Lisa Antoni, deren Figur es nicht erträgt, dass sie ihr Liebesglück mit Athos erneut selbst zerstört hat und sich vor seinen Augen das Leben nimmt – nach einem unglaublich gefühlvollen Wo ist der Sommer?, dessen zweite Strophe von Christoph Apfelbeck mit einer passenden Engel aus Kristall-Reprise untermalt wird.
Zwei herzzerbrechende Szenen, die ohne jeglichen Bombast fabelhaft gelungen sind und mir unvergesslich bleiben werden.

Und auch das für ein Melodram ungewöhnlich melancholische Ende meistern die – schlussendlich – vier Musketiere mit Bravour, und schaffen es, den Abend ohne Pomp ausklingen zu lassen (Vater-Reprise/Epilog). In der finalen Szene am Grab von D'Artagnans Vater stehen trotz aller erlittenen und noch nicht gänzlich verdauten Übel für die Musketiere wiederum jene Dinge im Vordergrund, für die sie am berühmtesten sind: Kameraderie und Zusammenhalt in jeder Gefahr!

28.6.18

Tanz der Vampire Dernière 28.6.2018, Ronacher

Aktion gemäß der Instruktion

Auch bei der diesjährigen Tanz der Vampire-Dernière im Ronacher am 28.6.2018 konnte man im Vorfeld wieder die langwierige und aufreibende Diskussion mitverfolgen, welche Fan-Aktionen von den VBW genehmigt werden würden und welche nicht. Schlussendlich konnte man sich wieder auf ein annehmbares Minimum einigen, das zumindest einen Teil der Fans zufrieden gestellt hat. Aber wie schon bei der letzten Wiener Tanz der Vampire-Dernière am 25.6.2011 wurden nicht nur die Entscheidungen der VBW die Fan-Aktionen betreffend mit großer Spannung erwartet, sondern auch, welche kreativen Einfälle das Produktions-Team bzw. die Künstlerinnen und Künstler selbst in die letzte Show einbringen würden.
Mein heutiger Bericht konzentriert sich vorrangig auf die außertourlichen Ereignisse der gestrigen Dernière, sowie auf Fan- und Cast-Mitglieder - Aktionen, und nicht auf die gesangliche und schauspielerische Leistung der letztgenannten. Wer mehr über Drew Sarichs und/oder Thomas Borcherts Oeuvres dieser Spielzeit lesen möchte, der möge bitte den entsprechenden Links folgen.


1.Akt
Die erste Fan-Aktion des gestrigen Abends war der noch etwas zaghafte Versuch des Publikums sich bereits in der ersten Szene der Show einzubringen und Raphael Groß (Alfred) mit einem zwischengerufenen "Doch, wir!" davon zu überzeugen, dass er falsch liegt in der – vom Skript vorgegebenen – Annahme, dass niemand Alfred vermissen würde. Leider konnte diese Aktion keinen besonderen Effekt erzielen, da diese Sequenz des Musicals zu straff orchestriert ist und keinen Raum für akustische Publikumsbeteiligung lässt, weshalb der Zwischenruf etwas untergegangen ist.

Wesentlich besser hat die Unterstützung des Publikums in der Szene geklappt, in der Professor Abronsius (Sebastian Brandmeir) Chagals (Nicolas Tenerani) Herz durchstechen will und Alfred das Wort "Rippe" nicht einfällt. Wie schon bei der letzten Tanz der Vampire-Dernière im Ronacher wurde hier von der Zuhörerschaft das gesuchte Wort kollektiv und klar verständlich zwischengerufen, was den Professor dazu veranlasst hat, seinen Assistenten mit abschätzigem Blick und energischer Handbewegung Richtung Publikumsraum darauf hinzuweisen, dass selbst uns das Wort einfällt, während Alfred noch immer verzweifelt danach sucht.

Das Highlight des 1. Akts bildete ohne Zweifel die von den VBW offiziell genehmigte Fan-Aktion, bei der sich das Publikum beim Gebet mit LED-Teelichtern an der malerischen Szene beteiligen durfte, was bei diesem Lied sowohl unter den Zuschauerinnen und Zuschauern als auch auf der Bühne für unbeschreibliche Emotionen gesorgt hat. Diana Schnierer (Sarah) war es deutlich anzusehen, dass es ihr eine Menge abverlangte, sich von dem mit flackerndem Kerzenlicht beleuchteten Publikumsraum nicht zu einer echten Gefühlsregung hinreißen zu lassen – was perfekt zu dieser Szene gepasst hat, in der ihre Figur ohnehin mit einigen widersprüchlichen Emotionen zu kämpfen hat.

Das Zusammenspiel aller Darstellerinnen und Darsteller war gestern emotional intensiver, wobei sich hier besonders Dawn Bullock (Rebecca) und Nicolas Tenerani hervorgetan haben, die sich entgegen der Angabe im Tanz der Vampire-Skript vor Chagals Aufbruch Richtung Grafenschloss auf Chagals Initiative hin innig umarmt haben.

Neben emotionalen i-Tüpfelchen gab es im 1. Akt auch das einzige (von mir bemerkte) "Hoppala" des gestrigen Abends: Drew Sarich (von Krolock) hatte wohl bei Vor dem Schloss die Visitenkarte des Professors nicht gut genug in seinem Ärmel verstaut; jedenfalls ist diese in einem rhythmisch perfekt abgepassten Moment bei einer schwungvollen Linksdrehung hinausgeflogen – was den erfahrenen Grafen, der diese Sache möglicherweise genau so geplant hatte, überhaupt nicht gekümmert hat.

2. Akt
Der ungewöhnliche 2. Akt wurde eingeleitet von Sebastian Brandmeir, der sein im Schlaf für gewöhnlich wortloses, aber geräuschvolles Luftholen (das jedes Mal den Beginn von Carpe Noctem markiert) mit einem Wort garnierte, das niemand so recht verstehen konnte. Viele Fans glauben "Mark Seibert" gehört zu haben, während andere auf "Magda", "Mahlzeit" oder "Meuterei" beharren. Die Vorstellung, etwas völlig Anderes als die Sitznachbarin bzw. der Sitznachbar verstanden zu haben, macht diese Sequenz rückblickend nur umso komischer.

Das Highlight des 2. Akts bestand darin, dass man sich dazu entschieden hatte, am letzten Abend bei vielen Ensembleszenen alle regulären Darstellerinnen und Darsteller plus Swings einzusetzen, was dem Tanz der Vampire-Fan einen beeindruckenden Unterschied zu den regulären Shows vor Augen geführt hat: Bei Ewigkeit, Tanzsaal und Finale haben statt 15-20 Vampiren erstmals über 30 Vampire zugleich auf der Bühne agiert!
Im Fall von Ewigkeit bedeutete dies, dass in den Gräberreihen auf der Bühne in der zweiten Hälfte des Liedes nicht wie gewöhnlich jeweils nur zwei weitere Vampire aus den Gräbern auftauchten, sondern jeweils doppelt so viele; während bei Tanzsaal von allen ausgehungerten Vampiren ein viel größerer und zugleich dichterer Kreis um den Graf und Sarah gebildet wurde. Die immens respekteinflößende Wirkung, die diese Ensemblenummern schon bei normalen Vorstellungen haben, wurde durch den Einsatz aller Ensemblemitglieder bei der Dernière noch um ein Vielfaches verstärkt und hat zu einigen der intensivsten Gänsehautmomenten dieser Spielzeit geführt.

Bei Tanzsaal lenkte gestern auch noch eine zusätzliche Vampir-Aktion das Augenmerk auf die Vielzahl der Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne: Als Herbert (Charles Kreische) den Untertanen Krolocks wie immer durch Händeklatschen das Zeichen zum Tanzbeginn geben wollte, haben ihn alle Ensemble-Vampire mit präzisem und perfekt choreographiertem Klatschen ihrerseits dabei unterstützt.

Ein kleines Detail derselben Szene hat wohl die Herzen vieler Besucherinnen und Besucher höher schlagen lassen: Bevor Drew Sarich Diana Schnierer in den Hals gebissen hat, hat er sie zärtlich – wie um sich von ihr zu verabschieden – auf den Mundwinkel geküsst.


Eine erwähnenswerte Publikumsbeteiligung im weiteren Sinne war der enthusiastische, um nicht zu sagen, ekstatische Jubel und Applaus nach jedem Lied bzw. nach jeder außergewöhnlichen Aktion der Darstellerinnen und Darsteller – ohrenbetäubender Applaus, der oftmals sogar die Musik, die für gewöhnlich Szenenübergänge untermalt (z.B. nach Carpe Noctem) übertönt, und nach Ewigkeit die Vampire, die durch die Gänge hinausgehen, sogar von der Bühne bis zum Ausgang begleitet hat. 
Die ersten Standing Ovations gab es im 2. Akt bereits vereinzelt nach Ewigkeit, und nach der Unstillbaren Gier erhob sich der Großteil des Parkett-Publikums von den Sitzen. Spätestens beim Finale gab es auch für alle restlichen Besucherinnen und Besucher kein Halten mehr: Der gesamte finale Auftritt der Ronacher-Vampire wurde von den Fans mit Gesang, Klatschen, Jubel und Standing Ovations geehrt.

Ich hatte den gesamten Abend den Eindruck nur von passionierten Musicalfans und Familienmitgliedern und Freunden der Cast-Mitglieder, die alle genau wussten, was sich bei dieser außergewöhnlichen Veranstaltung gehört, umgeben zu sein – wozu wohl der, dieses Jahr durch eine Verlosung relativ elegant gelöste, exklusive Dernière-Kartenverkauf für Mitglieder des VBW-Musicalclubs geführt hat.

Schlussapplaus
Hier zwei Fotos vom Schlussapplaus aus der dritten Reihe:

Oben ganz vorne: Florian Resetarits, Charles Kreische, Nicolas Tenerani, Raphael Groß
Unten: Drew Sarich, Diana Schnierer, Sebastian Brandmeir, Marle Martens

Mit auf die Bühne durfte beim letzten Schlussapplaus auch Florian Fetterle, der sein Hauptengagement derzeit bei I am from Austria im Raimund Theater hat, aber im Ronacher mehrmals pro Monat als Walk-in-Cover vom Graf von Krolock tätig war; und unkostümiert in hellblauem Hemd und beiger Hose gestern recht unbekümmert einen lustigen Kontrast zu all den schwarz gekleideten Vampiren bildete.

Am Tag danach sind nun einige Fotos und sogar kurze Videoausschnitte von einigen Highlights der gestrigen Dernière aufgetaucht, von denen jetzt ein Großteil auf den Facebook-Pages und in den Instagram-Stories der meisten Darstellerinnen und Darsteller kursiert. Wer sich allerdings die richtig guten (Schlussapplaus-) Fotos anschauen will, dem empfehle ich im Lauf der nächsten Tage bei Diane Bauer-Photos auf Facebook vorbeizuschauen.

Hier ein Video vom Schlussapplaus aus der zehnten Reihe:

Nach dem Schlussapplaus
Da es den Fans wie schon bei der letzten Tanz der Vampire-Dernière nach dem Schlussapplaus untersagt war, ihr eigens für dieses Event kreierte Abschiedslied im Saal zu singen, sind viele von ihnen auf die verregnete Straße vor der Bühnentür ausgewichen und haben (wie schon 2011) einfach so lange gesungen, bis sich die Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller (Diana Schnierer, Dawn Bullock, Raphael Groß, Sebastian Brandmeir, Drew Sarich, Nicolas Tenerani, Florian Resetarits, Charles Kreische) kurzzeitig von der Dernièren-Party im Ronacher absentiert und sich sehr enthusiastisch im Namen aller Cast-Mitglieder bei ihren Hardcore-Fans bedankt haben.
Die Erklärung der VBW warum eine musikalische Fan-Aktion nicht im Theater stattfinden darf, klang schon bei der letzten Tanz der Vampire-Dernière ein wenig müde: "die Show läuft nach einem engen Zeitplan ab, da ist keine Zeit für sowas". Warum eine musikalische Würdigung aller Mitwirkender durch die Fans im Theater bei den Dernièren einiger Musicals verboten ist (z.B. Tanz der Vampire), während sie bei den letzten Vorstellungen anderer Musicals absolut kein Problem darstellt (z.B. Elisabeth), ist eines der viel hinterfragten und bis heute ungelösten Rätsel des VBW-Dernière-Managements.

Hier der Text des umgedichteten Eine schöne Tochter ist ein Segen-Liedes, dessen Präsentation den Fans trotz des herausfordernden Rhythmus' sehr gut gelungen ist, und alle Cast-Mitglieder, die es sich angehört haben, sichtlich begeistert hat:

In diesem Sinne:
Glück und Segen auf Euren Wegen. Tschüss und Baba!

Es war eine ereignisreiche, unvergessliche Tanz der Vampire-Jubiläums-Spielzeit in Wien und wir freuen uns schon auf die nächste. Carpe Noctem!
#tdv20viennathiswasus

6.5.18

Musical meets Opera 2018, Ronacher

Don Giovanni zu Gast bei den Vampiren

Eine wahrlich treffende Beschreibung für die 10. Ausgabe von Musical meets Opera, die heute am 6.5.2018 im Wiener Ronacher stattgefunden hat – wie jedes Jahr souverän, charmant und äußerst unterhaltsam moderiert von Thomas Dänemark.


Thomas Dänemark hat in dieser ca. zweistündigen Veranstaltung gekonnt die Parallelen zwischen den Figuren und den Handlungselementen von Tanz der Vampire und Don Giovanni aufgezeigt und inhaltsähnliche Lieder aus beiden Genres von den jeweiligen Darstellerinnen und Darstellern gegenüberstellen lassen – so wurde z.B. Draußen ist Freiheit zum Musical-Pendant für Reich mir die Hand, mein Leben (in der Originalsprache Italienisch) aus Mozarts Oper.

Aus Tanz der Vampire wurden folgende Lieder zum größten Teil original mit Kulissen und in Kostümen aufgeführt:

Vor dem Schloss – Drew Sarich & Tanz der Vampire Ensemble
Gott ist tot – Drew Sarich
Alles ist hell/Wahrheit – Sebastian Brandmeir, Raphael Groß, Nicolas Tenerani, Floor Krijnen & Marle Martens
Draußen ist Freiheit/Stärker als wir sind/Gebet – Diana Schnierer, Raphael Groß, Drew Sarich & Ensemble
Tot zu sein ist komisch – Marle Martens & Nicolas Tenerani
Einladung zum Ball – Drew Sarich
Für Sarah – Raphael Groß
Wenn Liebe in dir ist – Raphael Groß & Charles Kreische
Ewigkeit – Ensemble
Finale 1. Akt – Drew Sarich

Alle Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller – und im Fall von Filippo Strocchi und Floor Krijnen auch zwei Covers – des Stücks kamen nach ihren Gesangseinlagen zu Wort und haben ein bisschen etwas über ihre Rollen bzw. sich selbst erzählt. Einige der Geschichten kannte man als Fan vielleicht schon von der ersten Ausgabe von Musical meets Opera mit den Vampiren (2011) bzw. hatte sie irgendwo anders aufgeschnappt; sie aber live direkt aus dem Mund der Darstellerinnen und Darsteller noch einmal zu hören, sorgte trotzdem wieder für exzellente Unterhaltung des heutigen Publikums, das eindeutig zum Großteil aus Musicalfans bestand.
Auch die Tanzdoubles von Sarah und Krolock, Lucy-Marie Fitzgerald und Arltan Andzhaev, die bei ihren Auftritten in  Tanz der Vampire die Geschichte vorrangig visuell untermalen, hatten heute die Gelegenheit, etwas über ihren Musicalwerdegang und ihre Arbeit zu erzählen. Zwei Ensemble-Mitgliedern der Ewigkeits-Vampire – Martina Borroni und Christopher Dederichs – hat Thomas Dänemark unter anderem die Frage gestellt, ob von ihnen beim Verlassen der Bühne immer bestimmte Zuschauerreihen erschreckt werden, was zum Glück für zukünftige Besucherinnen und Besucher der Show nicht verraten wurde.
Florian Resetarits, der normalerweise als Koukol eine sprachtechnisch relativ eingeschränkte Rolle hat, hat kurz von der Herausforderung, den buckligen Diener zu spielen, berichtet und danach die restliche Veranstaltung lang den Butler für alle gespielt: Er brachte Darsteller und Requisiten auf die Bühne und holte sie dort wieder ab.

Im Gegensatz zu vielen vorangegangen Produktionen von Musical meets Opera gab es dieses Jahr keine fixen Sitzplätze, auf denen die gerade unbeschäftigten Sängerinnen und Sänger während der Veranstaltung residierten. Dieses Mal wurden schlauerweise einfach die Kulissen von Tanz der Vampire dafür benutzt und es befand sich meist nur auf der Bühne, wer gerade sang bzw. gesungen hatte: Das Champagnerlied aus Don Giovanni wurde passenderweise von Adam Plachetka mit einem Glas Blut in der Hand in Chagals Wirtshaus gesungen und während Tot zu sein ist komisch saßen Thomas Dänemark, Adam Plachetka und Jasmina Sakr am Tisch im Wirtshaus und konnten praktisch in der ersten Reihe fußfrei den ersten Biss auf der Bühne in Tanz der Vampire hautnah miterleben.
Vielleicht war die als Location gewählte Showbühne des Ronachers auch der Grund dafür, dass dieses Jahr bei Musical meets Opera wesentlich mehr gesungen als geredet wurde.

Die Highlights für Tanz der Vampire-Fans bildete natürlich das teilweise ungewohnte Staging der wohlbekannten Lieder, Drew Sarich, der zwischendurch immer wieder spontan auf der Bühne auftauchte, kaum dass jemand erwähnte, dass er bzw. sie gerne einmal gebissen werden möchte (was oft passierte), eine Quartett-Version der Unstillbaren Gier und Wenn Liebe in dir ist mit vertauschten Rollen.
Die beiden zuletzt erwähnten Ideen wurden bereits 2011 bei Musical meets Opera 2 erstmals umgesetzt – dieses Jahr wurden die Lieder mit folgender Besetzung aufgeführt:
Die Unstillbare Gier wurde zur Klavierbegleitung von Walter Lochmann von den großteils gesanglich hervorragend miteinander harmonierenden Maximilian Mayer, Drew Sarich, Filippo Strocchi und Morten Frank Larsen dargeboten – die Strophen und Refrains wurden abwechselnd von den einzelnen Sängern gesungen und gemeinsam haben sie sich dann vierstimmig an ein außergewöhnliches und sehr stimmiges, vom Orchester unterstütztes Finale des Liedes herangewagt.
Wenn Liebe in dir ist wurde nach der Originalversion des Songs noch einmal mit vertauschten Rollen mit Raphael Groß als Herbert und Charles Kreische als Alfred gespielt – diese angeblich spontane Umsetzung evolvierte mit einem Raphael Groß, der versuchte, sich wie Charles Kreische zu bewegen, und einem Charles Kreische, der einfach Herbert in der Rolle des Alfred spielte, zum komischen Höhepunkt von Musical meets Opera 10.

Für Opernfans waren einige Leckerbissen aus Don Giovanni dabei, die von Adam Plachetka, Jasmina Sakr, Morten Frank Larsen und Maximilian Mayer (immer begleitet von Walter Lochmann, dessen Klavier am linken Bühnenrand stand) vor ungewöhnlicher, aber sehr atmosphärischer Szenerie – Chagals Wirtshaus bzw. Krolocks Schloss – gesungen wurden. Auch Thomas Dänemark hat einmal sogar eine kleine Rolle übernommen und die Statue des Kontur, die in der vorgestellten Szene eine kleine Gesangsrolle hat, gespielt.

Gemeinsam von Drew Sarich und Adam Plachetka wurde dann noch Stars aus Les Miserables gesungen, da man ein Lied, das beide männliche Hauptdarsteller im Duett singen können, gesucht hat, und es wohl weder in Tanz der Vampire noch in Don Giovanni finden konnte. Aber Thomas Dänemark konnte auch hier wieder die Genres und – in diesem Fall – drei Stücke erfolgreich durch die von ähnlichen Motiven angetriebene Hauptfigur miteinander verbinden.

Den Abschluss von Musical meets Opera 10 hat eine moderne Version von Reich mir die Hand, mein Leben gebildet, die von allen Musical-Hauptdarstellerinnen und -darstellern und Opernsängerinnen und -sängern gemeinsam gesungen wurde.



4.5.18

Drew Sarich in Tanz der Vampire, Ronacher

Sei bereit, Sternkind

Drew Sarich hat diese Woche im Wiener Ronacher wieder die Rolle des Graf von Krolock übernommen und schließt somit den Kreis, den er im letzten Jahr begonnen hat. Um einen Großteil der Tanz der Vampire-Fans zumindest ansatzweise zufriedenzustellen, haben die Vereinigten Bühnen Wien für die Jubiläumsfassung drei der gefragtesten Grafendarsteller engagiert, die nun seit der Premiere im September 2017 abwechselnd die begehrte Rolle gespielt haben: Drew Sarich: September - Oktober, Mark Seibert: Oktober - Dezember, Thomas Borchert: Jänner - Februar, Mark Seibert: Februar - Mai und Drew Sarich: Mai - Juni.
Prägnant ins neue Jahr 2018 gestartet ist Thomas Borchert, der einen beeindruckenden, äußerst respekteinflößenden Krolock mit vielen verschiedenen Nuancen, die über die Jahre hinweg zu seinem Markenzeichen geworden sind, gespielt hat, gefolgt von Mark Seibert, dessen (in Hinsicht auf Mark Seiberts Zeit in dieser Rolle) relativ junger Graf in seinem Schauspiel stark kontrolliert war, der aber stimmlich bei jeder Vorstellung einen sehr tiefgehenden, wenn nicht sogar erschütternden Blick hinter die Maske des Schlossherren gewährt hat. 
Wer sich jetzt nach diesen beiden Performances, die beide grundverschieden, aber doch meist unprätentiös waren (verglichen mit Drew Sarichs Spiel zumindest), eine Zeit mit schauspielerischen sowie gesanglichen Überraschungen, und somit Szenen, in denen die Stimmung von Vorstellung zu Vorstellung völlig anders sein kann, wünscht, der ist jetzt im Ronacher genau richtig. Wer sich nach unaufgeregtem Schau- sowie Stimmenspiel und einer "gewöhnlichen" Tanz der Vampire-Vorstellung sehnt, der sollte entweder zuhause bleiben oder nach Deutschland fahren.


Was ich Drew Sarich immer wieder gerne und mit vollster Überzeugung "ankreide", ist, dass mir sein Graf von Krolock zu verspielt ist. Mir sind prinzipiell Grafen lieber, die unnahbar sind und mir im weitesten Sinne Furcht einflößen, und Drew Sarich ist im Moment weder das Eine, noch tut er das Andere. Wie er selbst sagt, besteht sein Krolock aus einem Teil Panther, einem Teil Adler und einem Teil Elvis (und er selbst entscheidet, wann welcher Teil in ihm zum Vorschein kommt) und dies ist womöglich ohnehin die beste Beschreibung seiner Performance.
Drew Sarichs Graf ist ein Showman, ein Unterhalter, der sowohl mit seinen Opfern, mit seinen Untertanen, vorrangig aber auch mit seinem Publikum spielt. Während die meisten Darsteller den Durchbruch der vierten Wand nur vornehmen, wenn er schon dezidiert im Skript vorgegeben ist (z.B. bei Euch Sterblichen von Morgen prophezeie ich heut und hier), spricht Drew Sarich in vielen Szenen mit seinem Schauspiel öfter direkt das Publikum als das Ensemble auf der Bühne an. Neuerdings taucht er bei Tanzsaal in seiner Kanzel gerne mit völlig auf das Publikum ausgerichteter Körpersprache auf – seine von ihm angesprochenen Untertanen scheinen ihn trotz seiner mitreißenden Rede in diesem Fall nur mäßig zu interessieren. Auch beim Gebet hält er sich nicht am Dach des Wirtshauses versteckt, sondern ist dort während einem Gutteil des Liedes (schon lange bevor sein Gesangspart beginnt) dabei zu beobachten, wie er seinen faszinierten und gleichzeitig fast arroganten Blick über die Bühne bis ins Publikum schweifen lässt – frei nach dem Motto: überseht mich bloß nicht!
Wie könnte man das? Ein Krolock, der sich sowohl gesanglich, als auch schauspielerisch an keine Regeln hält, sticht ohnehin aus Tanz der Vampire heraus.

Während viele Grafen-Darsteller gerne über Monate, wenn nicht Jahre hinweg eine bestimmte Art der Interpretation dieser Rolle entwickeln und festigen, und nur hin und wieder lang bearbeitete neue Nuancen einfließen lassen, ist Drew Sarich ein Entdecker und Erfinder, der eben mal alle paar Vorstellungen etwas Neues ausprobiert. Aber Ausprobieren heißt für ihn nicht, dass er einfach irgendetwas halbherzig versucht – nein, Drew Sarich setzt die meisten seiner genialen Ideen, die weiß-Gott-woher-kommen, erfolgreich um, weil er sie (nehme ich zumindest an) genau kalkuliert hat und weil er über eine hervorragende Selbsteinschätzung verfügt.
Sein intensives, unter die Haut gehendes Schauspiel ist in dieser Rolle in allen kleinen, von anderen Grafen oftmals übergangenen Momenten zu sehen, z.B. als ihm in Totale Finsternis eine sich vorsichtig der Emanzipation annähernde Sarah die Hand auf die Schulter legt, während er mit Abscheu gerade seine Finger bzw. Klauen betrachtet (durch die ihm immer wieder das Leben entgleitet), und er daraufhin zurückzuckt und sich von ihr abwendet. Kein anderer Performer, den ich in dieser Rolle gesehen habe, hat es je geschafft, mit einer Handvoll Blicke und Gesten in diesem kurzen Moment so viele Emotionen zu porträtieren; um nicht zu sagen: ganze Geschichten innerhalb von ein paar Sekunden zu erzählen.
Auch die Tatsache, dass Drew Sarich risikofreudig ist und Lieder, in denen es gar nicht vorgesehen ist, mit seinen spitzen Zähnen im Mund singt (wie z.B. Totale Finsternis), tragen zu seiner außergewöhnlich starken Vampir-Personifizierung bei. Risikofreudig erstens, weil in dieser Szene beim Sturz die Treppe hinunter schon einmal die eigenen Zähne im Unterkiefer landen könnten und zweitens, weil man mit diesen Beißerchen erst einmal ein ganzes Lied ohne Lispeln durchsingen können muss.

Drew Sarichs Graf ist in jeder Sekunde, die er in seiner Rolle vor Publikum verbringt  – egal ob auf der Bühne oder auf dem Weg dorthin – völlig präsent. Durchgehend versteht er es sowohl stimmlich als auch schauspielerisch den Raum zu beherrschen. In Szenen, in denen man als Zuschauerin bzw. Zuschauer auf manchen Plätzen an einigen Abenden aufgrund der Aussteuerung Probleme hat, die Darsteller zu verstehen (im Ronacher genauso wie im Theater des Westens), singt Drew Sarich mit einer Präzision und solch durchdringender, klarer Stimme, dass man ihn selbst bei geringer Lautstärke noch in der hintersten Reihe wahrnimmt und versteht.
Seine Bühnenpräsenz ist bis zu einem gewissen Grad wie die Interpretation von dutzenden anderen Darstellern in erster Linie ehrfurchtgebietend, aber gleichzeitig merkt man seinem Grafen auf einen Blick die Verschlagenheit und das Schelmische an, was (wieder laut eigener Aussage) einfach eine Reaktion auf die vergangenen Jahrtausende ist, in denen Krolock gegen seinen Willen alle Zeit der Welt hatte, die Menschen und all ihre Fehler zu studieren.
Diese Eigenschaften machen Drew Sarichs Krolock sehr bewegungsfreudig und oftmals (wie gesagt) sogar verspielt – am deutlichsten ist dies spürbar in jenen Szenen, die bereits vorgeschriebene komische Momente enthalten (wie z.B. Vor dem Schloss und Tanzsaal), aber auch bei Szenen, in denen kaum ein anderer Krolock-Darsteller je versucht zu glänzen, wie z.B. beim Finale wo er mit einer triumphierenden Grimasse mit ausgefahrenen Fangzähnen unter seinen Vampiren auftaucht und mit ihnen lässig in die Welt hinausmarschiert. Nach der eher zurückhaltenden Performance von Mark Seibert die letzten Monate wird man von Drew Sarichs Gestik bei Vor dem Schloss möglicherweise fast erschlagen, gewöhnt sich aber recht schnell daran, wenn man bedenkt, dass man die verschiedenen Gesten, die Mark Seibert am besten beherrscht – und an die er sich deshalb hält – an den eigenen Fingern abzählen kann.


Wer auch immer die Idee dazu hatte, Drew Sarich freie Hand bei der stimmlichen Entwicklung der Grafen-Rolle zu lassen bzw. wer auch immer ihn dazu animiert hat, hat einen Glücksgriff gemacht. Seine stimmliche Interpretation ist wahrlich nichts für die Ohren der Fans, die eine gewisse Notenabfolge gewohnt sind und die für eine hohe Krolock-Gesangsstimme nichts übrig haben. Drew Sarich hat mit seiner Tenorstimme vielen Sequenzen in Tanz der Vampire eine völlig neue Klangfarbe verpasst und die Stimme des Vampirs – ergo: des Monsters – aus den Tiefen des Horrorgenres an die klare, frische Luft und an das helle Licht gebracht.
Folgende Parts fallen mir jetzt auf Anhieb ein, die von ihm höher gesungen werden (entweder eine Terz oder gleich eine Oktave):
und hungrig nach GlückGott ist tot
Sei bereit Sternkind und auf dem Ball morgen NachtTotale Finsternis
und bei zum Bleiben verdammt in Tanzsaal begibt er sich überhaupt in jene ungreifbare Sphäre, die mich jedes Mal an seine übermenschliche Gethsemane-Leistung in Jesus Christ Superstar erinnert.

Obwohl es eine offizielle Aufnahme von Totale Finsternis mit Drew Sarich und Diana Schnierer gibt (Die drei Grafen, HitSquad 2018), tut ihm diese eher Unrecht, da er auf dieser Aufnahme "ganz normal" klingt und seine stimmlichen Möglichkeiten nicht ausloten durfte. Drew Sarich hat die Grafen-Rolle stimmlich zu etwas ganz Eigenem gemacht, das nur ihm selbst gehört, und wenn man ihm jetzt auf einmal sagt, er soll den Graf nach den vorgegebenen Noten singen, dann ist es nicht mehr seine Interpretation. Das wahre stimmliche Meisterwerk dieses Krolocks ist derzeit also nur live zu bewundern.
Und obwohl er sich all diese prägnanten Freiheiten in einem so außergewöhnlichen Ausmaß – wie es noch nie jemand zuvor oder seither gewagt hat – nimmt, so hat er doch nie den Respekt vor der Musik verloren und würdigt die Originalversionen der Lieder auf seine persönliche, grandiose Art und Weise. Drew Sarich gibt mir oft das Gefühl, viele Teile von Tanz der Vampire (mit dem ich aufgewachsen bin und das ich seit knapp 15 Jahren auswendig nachsingen kann) Vorstellung für Vorstellung neu zu entdecken.
Manchmal frage ich mich, warum sonst noch niemand eine ähnlich verwegene stimmliche Neuinterpretation der Grafenrolle gewagt hat bzw. wagt. Natürlich sprechen solche Neuerungen nicht jedermann an, aber die Zeit geht nun einmal vorwärts und nicht zurück, und wir sollten alle versuchen dem Neuen offen gegenüberzustehen und ihm zumindest eine Chance zu geben.

Notiz am Rande: die Unstillbare Gier ist meiner Meinung nach nicht bei jeder Vorstellung Drew Sarichs Meisterstück in Tanz der Vampire, was sie ja für gewöhnlich für den Durchschnitts-Fan zu sein hat. Bei Drew Sarich ist allerdings schon das Gesamtpaket so beeindruckend, dass die Gier für mich nur ab und zu die zusätzliche Kraft hat, alles andere zu überragen. Das ist hier aber auch nicht immer notwendig, da eine Gier, die auch bei einer Drew Sarich-Krolock-Performance noch als außergewöhnlich gilt, eindeutig den Ausdruck "emotionaler Overkill" rechtfertigt.


Dies hier ist nur ein kurzer Ausflug zu einem kleinen Teil von einigen von Drew Sarichs dutzenden, feinen Krolock-Nuancierungen. Man könnte über jeden Abend, den dieser zum Vampir-Darsteller geborene Sänger so unüblich macht, einen Aufsatz schreiben. Der Versuch, einen Bericht über Drew Sarichs Leistung in diesem Stück abzugeben, ist wie ein Tropfen im Ozean – was aber ist ein Ozean anderes als eine Vielzahl von Tropfen?
Wer am eigenen Leib erfahren möchte, wie es sich anfühlt von der Stimme und dem Schauspiel eines Musicaldarstellers Abend für Abend bis in die hintersten grauen Zellen auf die intensivste Art und Weise stimuliert zu werden, der sollte ihn sich unbedingt noch live im Ronacher in Tanz der Vampire anschauen und anhören - nur noch bis 27.06.2018!


Drew Sarich-Zitate aus dem Tanz der Vampire Programmheft 2017 und der ORF-Dokumentation Liebe auf den ersten Biss 2017

11.4.18

Bat out of Hell - The Musical II. Pro & Contra, Dominion Theatre, London

WAS FUNKTIONIERT & WAS NICHT FUNKTIONIERT

Für Erklärungen von Namen, Inhalt und Themen s. Handlung, Vorlage, Sprache, Themen

Theater, Bühne, Kulissen & Licht

Das Dominion Theatre ist eine fantastische Location für das Bat out of Hell-Musical: mit seiner ungewohnt breiten Bühne bietet es genug Raum für die Erschaffung einer sehr detailreichen Welt. Da der Zuschauerraum des Theaters an seinem breitesten Punkt allerdings noch breiter als die Bühne selbst ist, laufen alle Zuschauerinnen und Zuschauer, die am Rand sitzen, bei jedem Musical Gefahr, ständig Requisiten im Blickfeld zu haben (vor allem je weiter vorne man sitzt).
Bei Bat out of Hell wurde für dieses Problem eine elegante Lösung bzw. Verbesserung gefunden: die Hauptaction auf der Bühne findet auf einem (von oben gesehen) auf der Spitze stehenden Quadrat statt. Die linke vordere Ecke der Bühne (wo sich der Mini-Pool befindet) wird nur selten genutzt und die rechte vordere Ecke beherbergt den Dirigenten, der von dort aus sowohl einen Blick auf die Bühne als auch auf das Orchester unter der Bühne hat.  Was auf der rechten hinteren Bühnenseite (Falcos Wolkenkratzer) passiert, wird in vielen Szenen live mitgefilmt und gekonnt auf die Kulisse der linken hinteren Bühnenhälfte (The Deep End) projiziert, wenn diese gerade nicht verwendet wird – und genauso vice versa.
Die Bühnenbilder sind statisch, und obwohl sowohl das Deep End als auch der Wolkenkratzer nie ganz verschwinden, so gelingen trotzdem alle Szenenwechsel sehr überzeugend mithilfe von eingeschobenen Wänden und Kulissen und dem Auftauchen der Rockband, die im Deep End oftmals live auf der Bühne spielt.

Am beeindruckendsten ist in Bat out of Hell mit Abstand die Szene in der Strat während dem Titellied spektakulär mit dem Motorrad verunglückt, was schon am Ende des 1. Akts für Standing Ovations sorgt. Man kann sich einen Motorradunfall auf einer Musicalbühne mit der ikonischen Musik von Jim Steinman ausmalen wie detailreich auch immer und so oft man will, aber man wird sich niemals den überwältigenden Anblick ausmalen können, den man hier im Dominion Theatre in dieser dramatischen Szene geboten bekommt.

Aufgrund des Einsatzes von verschiedenen Beleuchtungskörpern, die zeitweise in den Publikumsraum gerichtet sind, hat man bei vielen imposanten Szenen (All revved up, Bat out of Hell, I'd do anything for love) den Eindruck, dass man sich nicht nur aufgrund der Musik auf einem Rockkonzert befindet. Dazu trägt auch noch die Tatsache bei, dass Strat und Falco oftmals normale Mikrofone benutzen und diese während der Performance an deren Kabeln um ihre eigenen Köpfe herumwirbeln, was bei mir jedes Mal für Angst um die Augen und Zähne der Hauptdarsteller gesorgt hat, allerdings auch wahrhaftig sehr „cool“ aussieht.


Choreografie des Tanzensembles

Ein Tanzensemble ist meiner Ansicht nach etwas, das für ein Musical mit so starkem Rockkonzert-Charakter großteils überflüssig ist – und leider ist die Choreografie von Bat out of Hell wirklich der stärkste Kritikpunkt: sie ist meiner Meinung nach einfach „ergänzt“ und nicht in das Musical integriert worden. Bei nur sehr wenigen Liedern ist sie passend zur Thematik der Szene gestaltet worden (z.B. bei Bat out of Hell), während die – nichts mit der erzählten Story zu tun habende – Choreografie in anderen Szenen einfach nur deshalb funktioniert, weil sie sehr beschwingte Lieder untermalt, wie z.B. bei Out of the frying pan and into the fire, You took the words right out of my mouth und Dead ringer for love.

Aber in vielen Szenen ist sie leider so unpassend wie ein Zirkuszelt auf einem Friedhof, und bewegt sich auf einer Skala von „vollkommen unnötig“ (Objects in the rear view mirror) bis zu „was zum Henker hat diese Choreo mit dem Lied zu tun?“ (Paradise by the Dashboard light).
Auch wenn die Choreografie des Tanzensembles bei Objects in the rear view mirror zum Glück erst bei der dritten Strophe einsetzt, so ist sie dort immer noch ablenkend genug. Diese Rockballade lebt alleine durch die Ausdruckskraft der Musik und des Sängers; und die Vermittlung der Geschichte und die melancholische Stimmung der ganzen Szene wird hier von einem zusätzlichen Element nur verdorben.
Bei Paradise by the Dashboard light hatte ich mir erhofft, dass man den beiden Protagonisten „trotz“ des schwungvollen Songs zutraut, auch nur zu zweit für genug visuelle Action sorgen zu können – was Sloane und Falco durchaus auch schaffen. Leider haben das die Choreographen nicht gesehen und dem Ensemble hier eine der Szenen-fremdesten Choreografien verpasst, die man sich nur vorstellen kann.
Sehr schade um die viele Arbeit und all die großartigen Tänzerinnen und Tänzer, die bei dieser – diese Produktion überhaupt nicht komplimentierenden – Choreografie mitwirken.


Beziehungen der Protagonistinnen und Protagonisten

Wie ich in meinem letzten Blogbeitrag geschrieben habe, liegt der Hauptfokus des Bat out of Hell-Musicals genau wie jener der Bat out of Hell-Alben von Meat Loaf und Jim Steinman nicht auf dem Handlungsbogen, der alle Lieder zusammenhalten soll (ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt), sondern auf der Betrachtung von einzelnen Lebensabschnitten sich liebender Menschen – was die große Herausforderung mit sich gebracht hat, die Beziehungen zwischen den Charakteren in einem Musical möglichst authentisch und gleichzeitig intensiv zu porträtieren.
Und diese Schwierigkeit ist hier auf eine unkonventionelle Art unglaublich beeindruckend gemeistert worden!
Einerseits sicher deshalb, weil Andrew Polec (Strat) und Christina Bennington (Raven) und Rob Fowler (Falco) und Sharon Sexton (Sloane) genau diese Rollen schon seit über einem Jahr miteinander spielen; andererseits ist es aber auch die brillante Manier in der die facettenreichen Beziehungen dieser Charaktere dargestellt werden. Ich hatte diese Woche das Glück Simon Gordan (eine von Andrew Polecs Understudys zu sehen) und die Chemie zwischen ihm und Christina Bennington war nahezu genauso stark wie jene zwischen ihr und Andrew Polec.

Die Beziehung von Falco und Sloane ist einfacher zu beschreiben, als jene von Strat und Raven, da die zweitgenannte sich erst über den Lauf des Stücks hinweg entwickelt. Falco und Sloane haben schon mindestens 18 Jahre miteinander verbracht, kennen einige ihrer eigenen und des anderen Fehler und Schwächen und haben sich im Alltagstrott auseinandergelebt. All dies wird vermittelt durch kleine Gesten, Blicke, Stimmlagen und natürlich durch die für solche Situationen perfekten Liedtexte von Jim Steinman:
I can still see a vision of you
But it's out of my sight
You're always out of my sight
And I'll never get away from it 
Während uns Falco und Sloane die Seiten einer Beziehung zeigen mit denen wir alle bis zu einem gewissen Grad (aus anderen Geschichten) vertraut sind – vom Nachtrauern einer seit langer Zeit als abgestumpft angesehenen Leidenschaft in Paradise by the Dashboard light bis zum schmerzhaften, noch immer brennenden Verlangen für den anderen in What part of my Body hurts the most – bieten uns Strat und Raven einen völlig neuen Blick darauf, wie man Liebe das erste Mal entdecken kann.

Die Geschichte von Strat und Raven als Paar ist an sich nicht außergewöhnlich – und die Zeit, über die wir sie begleiten, relativ kurz – aber die Art wie die beiden miteinander umgehen, ist es. Als sie das erste Mal miteinander sprechen, in Making love out of nothing at all, gehen beide auffallend vorsichtig miteinander um: umkreisen sich, probieren eine neue Art der Annäherung aus und sind sich offenkundig unsicher. Obwohl sie schon seit einiger Zeit voneinander geträumt haben, fällt keiner der beiden dem anderen einfach in den Arm oder küsst ihn/sie ohne Zustimmung des Gegenübers. Sie machen sich sogar „Safe-Zones“ aus:
Raven: „Hair is safe, nothing transmits through hair but electricity. Shoulders are safe, nothing transmits through shoulders.“
Die glühende Leidenschaft der beiden knistert unter der Oberfläche und offenbart sich auf genauso traumähnliche und unkonventionelle Weise wie die gesamte Atmosphäre des Musicals.
Strat: „I would like your heart to beat as fast as mine, so that our bodies rhyme.“

Als sie sich das nächste Mal wiedersehen, bei For crying out loud, testen sie trotz des offensichtlichen Sinnestaumels, in dem sich beide befinden, noch immer ihre eigenen und des anderen Grenzen aus. Beide verhalten sich in dieser Szene so, wie zwei Menschen, die von unbändiger emotionaler Energie erfüllt sind, aber sich noch immer nicht sicher sind, wie nahe sie ihrem Gegenüber kommen sollen bzw. dürfen. Strat und Raven respektieren sich gegenseitig so sehr, dass sie explizit nach jener fast magischen Einigkeit streben, in der jeder Mensch selbst in einer intensiven Liebesbeziehung keinen Aspekt seines eigenen Individualismus verliert.
Diese unkonventionelle Art und Weise auf die zwei verliebte und zu jedem Zeitpunkt gänzlich gleichberechtige Menschen in Bat out of Hell porträtiert werden, dieses vorsichtige Herantasten an das Thema Liebe und die uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit aller Beteiligten ist das Letzte, das ich von einem Rock'n'Roll-Musical, das seinen Anfang in den 70ern genommen hat, erwartet hatte.


Fazit

Bat out of Hell hat mich in einigen prägnanten Punkten enttäuscht: von der Choreographie des Tanzensembles über die – über weite Strecken – durchschnittliche Handlung, die einem dystopischen Jugendroman zu entstammen scheint, bis hin zu einer Menge Musical-Klischees.

Aber in Hinsicht auf den Einsatz von außergewöhnlicher Sprache, auf die gewagte Interpretationsfreiheit und darauf, dass der Hauptfokus des Musicals auf einer möglichst authentischen Darstellung von menschlichen Beziehungen liegt, hat es mir absolut den Boden unter den Füßen weggezogen. Auch ist die Größenordnung von West End-Musicals – überdimensionale Bühnenbilder, die bombastische Lautstärke der Musik und der unbeschreibliche Einsatz von Licht – noch immer nicht selbstverständlich für mich. Und für die übermenschlichen Leistung aller Darstellerinnen und Darsteller Jim Steinmans Songs – von denen nahezu jeder einzelne für sich schon eine 10-minütige Rockoper ist – so über die Bühne zu bringen, finde ich nicht einmal die passenden Worte.

Wer die Chance hat, sollte sich diese transzendente Liebesgeschichten-Sammlung mit Rock'n'Roll-Musik unbedingt dieses Jahr im Dominion Theatre anschauen!


Nachtrag:
Korrekterweise muss erwähnt werden, dass ich „nur“ ein paar Vorstellungen der PREVIEWS (die noch bis 19.4.2018 laufen) im Dominion Theatre gesehen habe – einige Details der Produktion könnten sich also in den nächsten Wochen noch verändern.